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Lass los was dich festhaelt

Lass los was dich festhaelt

Titel: Lass los was dich festhaelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Penny McLean
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haben nämlich einen Instinkt, der uns sagt, dass wir überleben müssen und dafür alles einsetzen können, was sich nur anbietet. Dieser Instinkt gibt - zumindest bis etwa zum 42. Lebensjahr - eine höchst eigenartige Grundinformation an die Psyche: Tod und Alter betreffen nur andere!
    Erst ab dem magischen Zeitpunkt Lebensmitte dämmert es dem Bewusstsein, dass jeder Tag ein kleiner Abschied ist und dass die Erdanziehungskräfte niemanden verschonen, denn die täglichen Gegenbeweise sind dann längst unübersehbar. In Unkenntnis der Tatsache, dass jedes Hab und Gut nur eine Leihgabe ist und das letzte Hemd keine Taschen hat, lässt sich mancher noch ein bisschen mehr Zeit oder lernt es nie. Und so verwechseln wir »viel Sicherheit« gern mit »viel Besitz« und benehmen uns wie Eichhörnchen vor einem strengen Winter. Das Denkmuster der im Sommer sorglos tanzenden Grille, die im Winter bettelnd bei der fleißigen Ameise vorstellig werden muss, sitzt tief, wobei es in unseren Breitengraden gar nicht mehr um das Verhungern und Erfrieren im kalten Winter geht, sondern vielmehr um die Erhaltung von Luxus, der gern als »normaler Lebensstandard« bezeichnet wird.
    Nur bei vergleichbar wenigen Menschen hat das Schicksal von Geburt an dafür gesorgt, dass ein Verständnis für die Vergänglichkeit praktisch »eingebaut« war und sie daher von Kindheit an ganz selbstverständlich mit dem Thema Verlust und Verzicht umgehen konnten. Vielleicht ging es Ihnen als Kind ähnlich wie mir. Ich habe lange geglaubt, alle Menschen brächten die gleichen Voraussetzungen mit, was ein verhängnisvoller Irrtum ist, und alle seien den gleichen Bedingungen unterworfen, was sich im Lauf der Zeit ebenfalls als eine Fehlinterpretation der Realität herausgestellt hat.

    Beide Annahmen sind leicht zu widerlegen. Steckt man hundert Leute nur eine Woche lang in ein und dasselbe Trainingslager und unterwirft sie den absolut gleichen Bedingungen, wird man sehen, dass sich wie von selbst Rangordnungen bilden und dass sich aufgrund von Sympathien und Antipathien eine ganz spezielle Atmosphäre ergibt. Außerdem wird man zugeben müssen, dass die oben aufgestellte Behauptung schon daran scheitert, dass in unserem fiktiven Camp eben nur diese hundert ausgesuchten Leute Platz gefunden haben. Würde man den hundert Probanden nun auch noch die Selbstverwaltung zugestehen, wäre das Endergebnis nach sieben Tagen noch eindeutiger: Kein Mensch ist wie der andere, und so etwas wie ein identisches Schicksal gibt es nicht, auch wenn es auf den ersten Blick oft so aussieht.
    Nicht einmal äußerlich sind sich alle Menschen gleich, wie man an ihren verschiedenen Hautfarben und körperlichen Eigenheiten leicht sehen kann. Ist es da nicht seltsam, dass der Spruch von der Gleichheit der Menschen so verbreitet ist, während jeder Erdenbürger gleichzeitig betont Wert darauf legt, unverwechselbar und einmalig zu sein? Worauf bezieht sich dann dieser Gleichheitsanspruch? Auf die Behandlung durch andere oder gar auf die Rechtsprechung?
    Wir wollen die Dinge wenigstens auf den Seiten dieses Buches beim Namen nennen, denn sonst wäre ich versucht, Ihnen die üblichen, ganz gewöhnlichen Ratschläge anzubieten, ohne den Spielraum zu berücksichtigen, den Sie als Individuum verdient haben. Sie sind skeptisch? Dann lesen Sie ein paar der beliebten Sprüche, in denen sich das Dilemma sehr deutlich widerspiegelt:
    Alle Menschen sind gleich.
Der Mensch ist ein Herdentier.

Der Mensch ist und bleibt allein.
Nur gemeinsam sind wir stark.
Nur einer kann der Sieger sein.
    Denkt man wirklich ernsthaft nach, kommt man an einen Punkt, an dem man verzweifeln könnte. Oder man ist dankbar, emotional gebremste Lehrer zu haben, die einem helfen, das Dilemma zu klären. Anthony Kinsella, mein Lieblingslehrer, konnte das perfekt. »Listen, dear …«, begann er immer. »Hör mal, du benutzt einen Körper, der sich über die Tierwelt entwickelt hat, bis er so weit war, dass du, das ursprüngliche Geistwesen, ihn in der Weise verwenden konntest, wie du es heute tust. Du hast also dein eigenes System einem fremden System aufgepfropft und erwartest nun, dass es seine Urerinnerungen, Instinkte und Bedürfnisse ablegt?«
    Aha, dachte ich, da sind wir also alle in ein irdisches Fahrwerk eingestiegen, das wir
    a. wahrscheinlich total unter- oder überschätzen,
    b. jahrtausendelang falsch verwendet haben und
    c. momentan im Begriff sind, für immer irreparabel zu ruinieren.
    »Change the use!«,

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