Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
bunt verpackten Waren in den Klub der neuen Konsumenten aufgenommen wurden, um schließlich recht schnell zu begreifen, dass gute Lebensmittel keineswegs immer von Nestlé und Kraft kommen mussten. Sondern dass es da etwas noch Besseres gab: Biolebensmittel. Wir beschlossen, diesem Klub je nach Kassenlage angehören zu wollen, und nahmen dafür auch in Kauf, dass damals das Vollkorn eher auf das Brot als in das Brot hineingebacken war.
Derlei würde sich heute natürlich keiner jener Kunden mehr bieten lassen, die den Kollwitzmarkt aufsuchen. Hier, auf der Cruising-Allee des Glücksbezirks, kennt man seine Rechte. Samstagmorgens geht es los im Karree. Dutzende Händler bieten alles an, was das Herz der Macchiatoeltern begehrt und ihnen das Gefühl vermittelt, wieder daheim in der westdeutschen Provinz zu sein: genetztes Brot – was immer das sein mag –, Ziegenkäse in mannigfachen Sorten, zwanzig verschiedene Pestomischungen, Marmeladen, Blumen, Eier, Falafel, Keramik, Taschen … und ganz hinten in der Ecke gibt’s gar für die alten Prenzlauer Berger einen Grillstand mit Flaschenbier und Gulaschkanone. Sibylle, mit der ich heute Vormittag hier unterwegs bin, braucht Energie. Sie hat eine kurze Nacht hinter sich und kauft sich Biofalafel, »würzig und fettig – alles, was eine verkaterte Frau braucht«, sagt sie. Ich ordere für uns beide frisch gepressten Orangensaft, gut für Nüchterne und Ausnüchternde. Wir stehen im Gewühl und schauen uns um.
Jene, die heute ihre Boogaboos hier durchschieben, den Macchiato im vormontierten Becherhalter, sind sichtlich aus einem anderen Holz geschnitzt als wir damals in unserem Souterrainlädchen. Erstens sind die meisten deutlich älter, zweitens lächeln sie kaum, und drittens haben sie Kinder dabei, die nicht mehr nach der Biomöhre verlangen, sondern schon eher nach Austern aus bretonischer Ökozucht. In dieser Hinsicht hat sich eine Menge verändert. Eine Familie zu bekochen bedeutet mittlerweile weitaus mehr, als Mutterns Nudelauflauf aus der Röhre zu ziehen. Inzwischen wird in den designten Stahl-und-Glas-Küchen gern das Biogemüse mit der Vollkornnudel im Dampfgarer erhitzt, südamerikanisches Qinoa geht eine schmackhafte Allianz mit der französischen Artischocke ein. Essen ist Nähren und Qualität oberstes Gebot. Nicht umsonst gibt es im ganzen Prenzlauer Berg nur einen einzigen Aldi – und der liegt wo? Direkt an der Grenze zum Wedding, also fast unsichtbar am ehemaligen Mauerstreifen.
Der Kollwitzmarkt erfüllt zwar tatsächlich den Zweck der Lebensmittelbeschaffung, zugleich aber ist er auch eine innerstädtisch gelegene Repräsentationsfläche. Ach guck mal da, Katja hat ein Kind bekommen! Wer ist denn der komische Typ da an Nikkis Seite …? Kleinstadt in der Großstadt, Fokus sozialer und wirtschaftlicher Beziehungen. Und zwischendurch immer wieder ein paar Medien- und Filmpromis, die unbehelligt, aber natürlich gut beobachtet, ihre Tomaten einkaufen.
Dass sich hier noch immer jeden Samstag fünftausend Leute durchdrängeln, dass die Kinderwagenpulks im Gewühl stecken bleiben und die angereisten Schwiegereltern aus Reutlingen oder Kiel ihren Enkeln eine Bionade ausgeben können, grenzt an ein Wunder und verdankt sich vermutlich der Prominenz dieses Platzes. Denn wo sich im Prenzlauer Berg was bewegt, wo es mal rumpelt und ruft, wo angeliefert und entsorgt wird, da sind die Kläger nicht weit.
In Fall Kollwitzmarkt handelt es sich um einige Anwohner des Platzes. Seit Jahren streiten sie sich mit der Bezirksverwaltung darüber, ob sie sich das überhaupt bieten lassen müssen: den Lärm, den die Händler und deren Kunden machen, das Gewühle und Gedränge, die Stimmen und die gute Stimmung – die ganzen Störer eben. Unerträglich auch die schönen wegfallenden Parkplätze direkt vorm Haus und das ewige Milchschaumgezische. Muss man sich denn hier alles gefallen lassen? Sie zahlen schließlich für ihre exklusive Wohnlage!
Na gut, so haben sie ihre Beschwerde natürlich nicht formuliert. Sie sind gute brave Bürger und bemängeln deshalb ganz deutsch, dass durch die engen Marktgassen im Notfall kein Feuerwehrauto passen würde und dass irgendwelche Poller falsch aufgestellt wurden. Es geht also um Sicherheit, nur darum. Und um dem auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise Ausdruck zu verleihen, haben sie eine Bürgerinitiative gegründet und diese »Besser leben im Kiez« genannt. Der Name lässt viel Spielraum für die Frage, wer genau hier
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