Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
hingehört, zur Störung. Sogar meine eigenen Landsleute gehen mir schon auf den Keks. Und das geht nun wirklich zu weit.
Gestern erst fuhr ich in der Dämmerung mit dem Fahrrad. Ich ließ es ruhig angehen, wie immer, seit ich hier wohne. Ganz entspannt die Straße runtertrudeln, den Rock im Abendwind bauschen lassen, an die Ampel ranrollen – gucken, ob ich nicht einfach bei Rot rüberkann. In der Ferne sah ich Autoscheinwerfer. Der ist noch ganz weit weg, dachte ich, und trat schon mal in die Pedale. Aber nein! Da hatte ich nicht mit der Schnelligkeit der tiefergelegten Umlandbewohner gerechnet. Das Fahrzeug war mit weit mehr als den vorschriftsgemäßen fünfzig Stundenkilometern unterwegs, und als es mir fast schon ins Hinterrad reingebrettert war, kam es unter lautem Quietschen zum Stehen. Gerade noch mal gut gegangen, dachte ich und spürte auch eine leise Freude darüber, dass dieses Auto da das Kennzeichen meines Brandenburger Heimatkreises trug. Doch dann öffnete sich das Fahrerfenster und ein kurzrasierter Jungmann blökte mich an: »Ej, du Fotze, jeht’s noch? Bist du noch janz sauba oda watt? Runta vonne Straße!«
Ganz ehrlich? Das war wie Nachhausekommen. Wie in einem emotionalen Schnellwaschgang spürte ich zuerst meine Empörung darüber, hier, im gentrifizierten Innenstadtbezirk auf diese unerhörte Weise von solch einem Penner angepöbelt zu werden. Aber fast genauso stark war jener Impuls des Wiedererkennens, ein Impuls, den Kinder und Jungvögel verspüren, wenn sie die Stimme der Mutter hören, ihren Flügelschlag. Ja, dieses raue Idiom, diese brutale Kommunikation war doch seit langen Jahren meine Sprache. So verhandelten wir Brandenburger unsere Konflikte: direkt zur Sache kommend, manchmal beleidigend und kompromisslos. Nicht so weichgespült wie hier im Abiturbezirk.
Der Jungmann legte den ersten Gang ein, setzte zurück, umkurvte mich haarscharf und verschwand in einer Eins-a-Dieselwolke am Ende der Straße. Die Begegnung mit ihm war jene Art Erweckung, die ich gebraucht hatte, um wieder zu wissen, wer ich bin und was ich hier tue. Nämlich gucken, was die hier treiben im Prenzlauer Berg. Aufschreiben, wie und warum sie hier spinnen.
Okay, das hab ich nun erledigt. Die drei Monate sind um. Als ich in der Wegwarte mein Zeug zusammenpacke, gibt es da ein paar Sachen, deren Erwerb sich ganz offensichtlich einzig meiner Prenzlauer-Berg-Phase verdankt. Eine Regenjacke mit wild geblümtem Futter zum Beispiel, die zu kaufen ich als Brandenburgerin fortgeschrittenen Alters niemals auch nur erwogen hätte. Grüne Riemchen-Pumps. Und ein Paar himbeerrote Adidas-Sneaker, deren Besitz ich meinen Töchtern werde erklären müssen. Stück für Stück wandert alles in meine Reisetasche. Ich ziehe den Stecker der Leselampe und schaue mich um. Schön war es. Laut war es. Interessant sowieso. Aber tatsächlich bin ich froh, wieder heimreisen zu können. Wenn ich länger bliebe, würde ich mich vergessen.
Ich würde hier möglicherweise doch noch ein spätes Kind kriegen und tapfer so tun, als wäre Mitte vierzig das perfekte Alter dafür. Ich wäre Mitglied einer Baugruppe und würde nur noch halbtags arbeiten – wegen des Kindes und weil man das hier so macht. Einmal in der Woche würde ich abends zum Kirchenchor oder zum Pilates gehen und dort andere Mütter kennenlernen. Samstags würde ich mir was Mädchenhaftes anziehen und mit Concealer meine Augenringe kaschieren. Dann würde ich mit Mann und Kind auf den Kollwitzplatz marschieren und mich tapfer lächelnd an den Buddelkastenrand setzen. Ansonsten würde ich ganz langsam Fahrrad fahren, Unsummen für Kaffee ausgeben, kaum noch selber kochen, nur noch schlaues Zeug reden und mich ausschließlich mit Leuten wie ich selbst eine bin umgeben. Sibylles Nummer würde ich löschen. Und weil dann alles so easy hier wäre und ein bisschen stumpf, würde sich sicher irgendeine dahergelaufene Journalistin finden und mich in meinem natürlichen Lebensumfeld beobachten. Was sie da sähe, würde sie aufschreiben und ein Buch draus machen. Nee, dann lieber ausreisen. Gleich heute.
D anksagung
E s gibt eine Menge Menschen, bei denen ich mich bedanken möchte. Sie haben mich hineinschauen lassen in ihre Leben, obwohl sie wussten, wie ironisch distanziert ich vieles sehen würde. Danke! Andere haben mich immer wieder ermutigt und tapfer ertragen in dieser Zeit. Danke! Wieder andere haben freundlicherweise mit mir auch mal über andere Dinge gesprochen, ohne
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