Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
deshalb waren sie erst neulich mit der ganzen Familie bei der Langen Nacht der Museen. Da hätten die Kinder in den Galerien eine sehr breite Mischung verschiedenster Leute sehen können: Rentner, Intellektuelle, andere Kinder. Na gut, keine Armen oder so. Aber es war doch insgesamt sehr schön.
Außerdem: Natürlich gibt es auch hier im Viertel Reibungen. Nicht jeder findet es großartig, morgens beim Bäcker erst einmal Linn und Carl-Josef den Vortritt zu lassen, weil die so süß sind und heute mal ganz alleine üben sollen, Laugenstangen zu kaufen. Nicht jeder ist stets bereit, auf dem Weg zur Arbeit einen verkehrsbehindernden Cluster aus Buggys, Lauf- und Erwachsenenrädern zu umkurven. Nicht jeder lächelt, weil die frisch gewaschene und abgefrühstückte Familienformation die Ampel blockiert. Manche werden ungemütlich. Unnötig findet das Jürgen Wissmann. Als er neulich vor der Haustür an Rajas Fahrradhelm rumfummelte, kam eine Frau vorbei und maulte was von »Scheißgören!«. »Du bist doch auch mal klein gewesen!«, hat er ihr hinterhergerufen. »Ist doch so«, sagt er. Das große Problem dieser Gesellschaft seien die blöden Pauschalisierungen. Kinder, Hunde, Ausländer – wer so denkt, kommt nicht weiter. Für ihn verlaufen die Grenzen nicht zwischen oben und unten, wie es die politische Linke einst postuliert hat, sondern »zwischen dir und mir«.
Er will nicht ausgegrenzt werden, weil er Kinder hat. Verständlich. Und normalster Normalalltag hier im Viertel. Man möchte gar nicht darüber nachdenken, welchen Schock die Wissmanns erleiden würden, wenn mit ihren Kindern so verfahren würde wie anderswo in deutschen Städten: misstrauisch, grob und abkanzelnd. Schattige Spielplätze, schlechte Kitas, dröhnender Verkehr – also bundesdeutsche Normalität. Derlei müssen die Wissmann-Kids nicht befürchten. Hier sind sie kleine Könige, wer sie ärgert, muss mit Ärger rechnen.
Seit letztem Herbst zum Beispiel boykottiert Susanne Wissmann ein sehr angesagtes Café im Kiez. Dort hatte man ihr und den drei Kindern einen Tisch neben der Tür zugewiesen. Unmöglich findet sie das, inakzeptabel. So nicht, liebe Leute, sagte sie, bei euch habe ich zwar meine Hochzeit gefeiert – aber wer mir kinderfeindlich kommt, der muss sich andere Gäste suchen. Und genauso hält sie es jetzt. Sie trinkt sowieso nicht besonders gern Latte macchiato. Und es tröstet sie, dass sie hier nicht allein ist mit ihrer Haltung. Die Familien halten zusammen, zelebrieren ihren Lebensentwurf. »Ich wollte immer Karriere machen«, sagt Susanne Wissmann, »ich habe in einer Umwelt-Consultingfirma gearbeitet. Aber nun habe ich die Kinder. So ist das jetzt in meinem Leben, und dafür gibt es einfach keine bessere Ecke als diese hier. So wie ich bekommen auch andere Frauen nicht nur ein, sondern zwei, auch drei Kinder. Das finde ich toll. An der Supermarktkasse werde ich vorgelassen, jemand packt mir die Lebensmittel ein, wo findet man so was schon?«
Diesmal, also beim dritten Kind, gönnt sie sich den Luxus, ein zweites Jahr zu Hause zu bleiben. Erst wenn sie so weit ist, wenn der Kleine zuverlässig in die Kita eingewöhnt ist und sie Lust hat, wieder zu arbeiten, will sie ihren früheren Chef anrufen und fragen, ob er wieder was für sie zu tun hat. Zum Glück ist ihr Mann verbeamtet. Bei seinen Schülern sieht er ja, wo es hingeht in diesem Land. Wer nicht an sich arbeitet, wer nichts bringt oder versagt, hat es schwer.
Den Wissmann-Kindern wird das nicht passieren, ihre Eltern achten von Anfang an darauf, dass sie sich optimal entwickeln, dass sie gesund sind, gut gefördert werden, eine glückliche Kindheit haben. Das fängt schon mit dem richtigen Kindergarten an. Der mittlere Sohn besucht die Waldkita, da war Raja auch schon, und der Jüngste wird als Geschwisterkind ebenfalls dort hingehen. Es mag ein bisschen seltsam wirken, dass Kinder aus dem Herzen einer Großstadt jeden Morgen emissionsintensiv aufs Land gefahren werden. Aber die Wissmanns haben gute Gründe. Sie wollen, dass ihre Kinder von klein auf jeden Tag mehrere Stunden lang an die frische Luft kommen, und leider haben sie in der Großstadt keine andere Kita gefunden, bei der das so gehandhabt wird wie in einer Waldkita.
Dafür bringt Susanne Wissmann den mittleren Sohn pünktlich halb neun zum Kollwitzplatz – eine logistische Herausforderung, wenn man außerdem jeden Tag ein Grundschulkind in die Spur setzen muss und ein einjähriges Kleinkind hat. Von
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