Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
erwarten sei, wenn ein Elternteil zu Hause bleibt. Dann fragte sie, warum es immer der teure Andechser-Joghurt sein müsse, wieso das Spülmaschinensalz nicht nachgefüllt wurde und wieso eigentlich erst die Kita-Erzieherin sie darauf aufmerksam machen müsse, dass Paulchen seinen S-Fehler logopädisch behandeln lassen muss. Was er eigentlich den lieben langen Tag so mache, während sie das Geld für alle verdiene.
Es entspann sich eine ungute Stimmung in der schönen Wohnung im Prenzlauer Berg. Micha dachte nach und signalisierte schließlich seinen früheren Auftraggebern Arbeitsbereitschaft. Ab und zu kamen wieder Aufträge rein: mal eine Konzertkritik, dann eine Ausstellungsrezension, das Ganze verbunden mit Abendterminen und sehr schmalen Honoraren. Aber auch das gefiel Michas Freundin nicht. Was er da treibe, dieses Geschreibsel für das bisschen Zeilengeld, das sei ja wohl eher eine Art Selbstfindungstrip, nörgelte sie. Micha solle sich mal einen richtigen Job suchen – der Mann, der er jetzt sei, sei ein anderer als der, den sie einst kennengelernt habe.
Micha zappelte noch ein bisschen, er versuchte, seine Freundin milde zu stimmen und den Kindern den Grundsatzstreit ihrer Eltern vom Halse zu halten. Aber irgendwann konnte auch er nicht mehr die Augen verschließen vor der Erkenntnis, dass seine engagierte Vaterschaft ihn für seine Freundin zum unsexysten Mann unter der Sonne gemacht hatte. All die schönen gesunden Biobreirezepte, seine ausgefeilte Gute-Nacht-Geschichten-Vorlesetechnik, seine Art, mit dem Fahrradanhänger gekonnt die Spielplätze des Prenzlauer Bergs anzusteuern – umsonst. Die Frau liebte ihn nicht mehr. Und um ihm noch mal richtig eine zu verpassen, betonte sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ihre finanzielle Macht und seine soziale Ohnmacht.
Wir sitzen im Café, Micha dreht seine Bionade-Flasche nervös in der Hand. »Ich habe alles falsch gemacht«, sagt er in seinem weichen Sächsisch, »ich habe meiner Freundin vertraut, habe alles gemacht, wie sie es wollte, und jetzt kann ich abhauen. Verträge oder so was, was wem gehört oder so, haben wir natürlich nicht gemacht. Mensch, ich bin doch aus’m Osten, so was hab ich doch nie gebraucht. Naja«, sagt er, »dachte ich jedenfalls.«
Micha, schwant mir gerade, ist eigentlich so etwas wie eine Macchiatomutter, nur mit dem kleinen Unterschied, dass er im Körper eines Mannes gefangen ist. Es gibt viele solche Frauen hier im Prenzlauer Berg. Frauen, die vertraut haben in das Familienmodell längst zurückliegender Jahrzehnte, als der eine das Geld ranschaffte und der andere die rückwärtigen Dienste versah. Anfangs ist ein derartiges Arrangement eine Verheißung: eine Auszeit vom Arbeitsalltag, vom Anspruch, etwas werden, schaffen, darstellen zu müssen. Man tauscht diese Rolle gegen eine Zuschreibung, die gesellschaftlich geadelt ist: die der Vollzeitmutter. Oder, wie in Michas Fall, die des Vollzeitvaters. Man gibt sich her für das Beste, was man hat: die Kinder.
Aber dann hakt es irgendwann. Und zwar nicht unbedingt deshalb, weil die Liebe schwindet. Sondern weil dieses Modell im einundzwanzigsten Jahrhundert kaum noch funktioniert. Arbeitsplätze sind heute Zeitverträge, Tariflöhne ein Wort aus einer anderen Zeit. Sichere Arbeitsbiografien sind einfach passé! Und wer sich da mal eine Zeit lang rausbeamen möchte, für den kommt ein Kind manchmal gerade recht. Endlich mal frei vom Druck sein, sich beweisen zu müssen, davon, Kollegen zu haben, die alles andere als nett sein können, sich tagsüber die Freiheit nehmen, Kaffee zu trinken und dem Baby beim Wachsen zuzusehen. Ein schöner Gedanke, der auch mir nicht fremd ist. Als es im Job eine Zeit lang mal weder vor noch zurück ging, stellte auch ich zu Hause den Antrag auf ein weiteres Kind. Gott sei Dank verfüge ich über einen Mann, der diese Idee als das enttarnte, was sie war: Flucht vor Verantwortung. Wir ließen das dann mal schön bleiben.
Und Micha? Der muss nun gehen. Muss seinen geliebten Prenzlauer Berg verlassen und in den billigeren Wedding ziehen, weil das eigentlich ja liebevoll und zeitgemäß gedachte Arrangement zweier Erwachsener gescheitert ist. Eine Wohnung, die er bräuchte für sich und die Kinder, gibt es hier schon lange nicht mehr. Er hat wirklich alles versucht.
Micha, der arglose Teilzeitvater, kann sich das alles nicht mehr leisten. Er fragt sich nun, was das eigentlich für Leute sind, mit denen er in den letzten Jahren so locker und
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