Lassen Sie mich durch, ich bin Mutter: Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern (German Edition)
ist, weniger Druck, mehr Grün.
Hier ist mir das zu viel Stress. Der Prenzlauer Berg ist heute alles andere als entspannt, die Ecke hat sich unheimlich verändert. Rausche-Alltag nenne ich das immer – also zu viel Hektik, zu viel Repräsentation, zu viel Missmut dabei. Das will ich nicht so haben, ich bin nämlich ein grundsätzlich positiver Mensch. Und gerade deshalb spüre ich sehr deutlich, wie die Situation hier an mir nagt, dass ich auch empfindlicher werde. Als Lehrerin habe ich ja einen Beruf, wo jeder mitmischt, jeder eine Meinung hat. Vor allem natürlich die Eltern. Ich spüre ihr Misstrauen, ich kriege mit, was für einen schlechten Ruf wir Lehrer haben. Das nervt mich.
Bis vor einigen Jahren waren die Kinder in meinen Klassen noch gemischt von der Ost-West-Herkunft. Das ist aber inzwischen komplett gekippt, mittlerweile sind die Wessis weit in der Überzahl. Von meinen zweiundzwanzig Elternpaaren in der Klasse sind – Moment, ich muss mal nachzählen – zwei Mütter aus dem Osten und ein Vater, nein Moment, zwei Väter sind es, mehr nicht. Natürlich spüre ich, dass viele mir als Ostlehrerin mit Vorurteilen begegnen. Manchmal glaube ich, die denken, da kommt gleich Margot Honecker um die Ecke. Und dann bin’s aber doch ich.
Ich kann mich noch gut an die erste Elternversammlung meiner jetzigen Klasse erinnern. Oh Gott, war ich da aufgeregt! Du kannst fünfzig Jahre Lehrer sein, vor Elternversammlungen machst du dir immer in die Hose. Also, die Mütter und Väter sind so reingewischt in den Klassenraum, viele waren schon älter, einige haben nicht mal gegrüßt. Ihre Blicke sagten: »Na, ob du das kannst? Das gucken wir uns erst mal an.« Ach du Schande, dachte ich, die haben überhaupt kein Vertrauen, prost Mahlzeit!
Eine Stunde später war’s geschafft. Am Ende der Versammlung kamen Eltern zu mir und haben gesagt: »Jetzt wissen wir, bei Ihnen sind wir richtig.« Wie ich das gemacht habe? Ich war einfach ich selbst. Zuerst mal bin ich zu jedem hin und habe ihm die Hand gegeben. Das hat die Eltern ein bisschen irritiert. Der Vollossi in mir, der will und muss die Hand geben und möchte damit auch zeigen, woher er kommt. Dann habe ich erzählt, wie ich arbeite. Dass es bei mir jede Menge Rituale gibt, feste Abläufe, damit die Kinder Strukturen kriegen: also den Morgenkreis zum Beispiel und den Wochenplan, bei mir wird außerdem viel gesungen. Dann habe ich gesagt, dass ich jedes Jahr mit den Kindern eine Klassenfahrt mache, und erklärt, warum ich welche Unterrichtsmaterialien benutze und welche nicht. Bei mir gibt es zum Beispiel keine Fibel, das irritiert die Eltern immer. Wie, was, keine Fibel? Ich sage dann: »Wozu brauchen die Kinder die? Wir basteln uns selber eine, das macht auch mehr Spaß.«
Ganz wichtig fanden die Eltern natürlich, dass ich nicht benote. Ich schreibe verbale Beurteilungen. Das kostet viel Kraft und Zeit, aber ich finde, man kann mit Zensuren nicht die Persönlichkeit eines Kindes ausdrücken. Wenn da eine Zwei im Zeugnis steht, weiß kein Mensch, ob und wie viel das Kind dafür arbeiten musste, das hilft ja keinem weiter, nicht dem Schüler und nicht den Eltern, die wissen möchten, wie sich ihr Kind in der Schule so macht. Deshalb schreibe und schreibe ich, erst gestern Abend wieder bis in die Puppen.
Natürlich gibt es auch Grenzen. Ich habe zum Beispiel nie meine private Telefonnummer rausgegeben – wer mit mir reden wollte, konnte über die Elternsprecher an mich herantreten. Das hat auch immer gut funktioniert. Aber dann sind wir auf Klassenfahrt gefahren, und ich habe in den Elternbrief meine Handynummer geschrieben, ganz klein und mit dem groß gedruckten Hinweis: NUR IM NOTFALL ! Was soll ich sagen? Ich habe unterwegs SMS bekommen wegen Nichtigkeiten, Zähneputzen und so was. Das habe ich dermaßen bereut. Bis heute werde ich privat angerufen, wenn eine Mutter abends um zehn wissen möchte, wie Luises Nilpferd-Vortrag gelaufen ist.
So was nervt mich, das berührt mein Privatleben, und da, finde ich, ist bei mir auch irgendwann mal Feierabend. Außerdem: Was lernen die Kinder daraus, wenn ihre Eltern sich so verhalten? Meine Schüler können schon sehr früh erstaunlich viel, woran es ihnen aber mangelt, das sind Umgangsformen. Höflichkeit, Respekt, Grüßen, einfach Erziehung im ursprünglichen Sinn. Das ist ein Punkt, an dem ich immer wieder ansetzen muss bei den Kindern. Viele kennen überhaupt keine Grenzen, sie können Gesten ihres Gegenübers nicht
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