- Lasst die Toten ruhen
Vampire sind Aristokraten, weitere 20 % der Vampirerzählungen stellen den Blutsauger als arriviertes Mitglied gehobener Schichten – Arzt, Architekt, Börsenmakler – einer eher klassenlosen Gesellschaft (wie z. B. der USA) dar; […].« Lässt man die beiden Pseudovampire – den adligen del Cane und die bäuerliche Tochter des Ziegelstreichers bzw. den Knecht Andras – außen vor, dann stimmen die Zahlen relativ gut: 60 % sind adlig, 20 % ragen anderweitig aus der Gesellschaft heraus – eine Boheme und eine Kaufmannstochter – und die letzten 20 % gehören zu den arbeitenden Schichten – ein Seemann und ein Bauer. Bei den ethnischen Hintergründen zeichnet sich keine Tendenz ab – Italiener, Deutsche, Polen usw.: Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen.
Einen wirklich interessanten Unterschied zur heute gängigen Verwendung des Vampirmotivs findet man im Ursprung: Heute sind die meisten Vampire »Brutvampire«, also Vampire, die von einem anderen Vampir gezeugt wurden. Wenn der Vampir eine biologisch distinkte Spezies ist, wie etwa in G. R. R. Martins »Fiebertraum« (1982), dann gibt es eine relativ normale Geburt, wenn der Vampir ein ehemaliger Mensch ist, wie etwa in Stephenie Meyers »Bis(s) zum Morgengrauen« (2005), dann wird er zumeist durch den Vampirkuss erzeugt. Der Vampirkuss überträgt dann ein Gift, einen Virus, besiegelt einen Pakt oder dergleichen mehr. Das findet sich in den Geschichten des 19. Jahrhunderts kaum. Die meisten ihrer Vampire sind »Urvampire«, also Vampire, die nicht von einem anderen Vampir gezeugt wurden. Die Gründe für die Vampirisierung sind dabei sehr unterschiedlich: Manche entstehen aufgrund eines Fluchs wie Val Umbrosa, Brunhilde wird durch die Nekromantie des Zauberers zur Untoten, zumeist ist es Lebens- bzw. Liebeshunger, der Tote wie Manor sich wieder erheben lässt, gelegentlich ein schlechtes Leben wie beim lettischen Bauern oder ein schlechter Tod wie bei der Tochter des Ziegelstreichers. Selbst bei von Klatka, der immerhin versucht, sich eine Gefährtin zu schaffen, ist nicht klar, ob er nicht doch ein unheiliger Adam ist.
Wesentlich zentrischer ist die ›Nahrungsaufnahme‹: Mehrheitlich wird Blut gesogen, doch auch die Psychovampire kommen zum Zug und laben sich direkt an der Lebenskraft ihres Opfers. Bei Sacher-Masoch und bei Heyse ist dieser Vorgang mit Blut verknüpft; bei Ersterem so fest, dass nicht zu entscheiden ist, ob die Starostin Tartakowska eher normaler Vampir oder Psychovampir ist. Aber es finden sich auch zwei Ausnahmen. Zum einen der unvermeidliche Hoffmann, bei dem Nekrophagie begangen wird, zum anderen zieht Przybyszewskis Agaj ihre Stärke aus dem Leid des Opfers. Bemerkenswert ist der Körperteil, aus dem das Blut gesogen wird. In den früheren Geschichten – Rauschnick, Raupach, Spindler und als verirrter Nachzügler Ulrichs – wird das Blut aus der Brust gesogen, bei den späteren wird aus dem Hals gesogen, wenn ein Körperteil erwähnt wird; Klatka ist anscheinend der erste Halssauger.
Zwei klassische Themen der Vampirgeschichte sind verbotene Sexualität und Krankheit. Die Bearbeitung der Sexualität ist sehr wechselhaft. Aktuell gibt es eine Welle von Vampirromanzen, in denen meistenteils nur noch sehr vage Nekrophilie und etwas deutlicher die »unmögliche Liebe« behandelt wird. In der »unmöglichen Liebe« geht es um die Überwindung eines trennenden Faktors – »Romeo und Julia« dürfte die bekannteste Bearbeitung des Stoffes sein. Bei den aktuellen Geschichten ist es ähnlich: Bella ist ein lebender Mensch, Edward ist ein Vampir – die jeweilige Natur und ihre Einbindung in verschiedene Gesellschaften trennen sie voneinander, ihre Liebe bringt sie zusammen. In den Geschichten des 19. Jahrhunderts spielt der Aspekt des Widernatürlichen bzw. Sündigen eine erheblich größere Rolle – auch wenn das »Verbrechen« aus heutiger Sicht oft nur ein Kavaliersdelikt oder weniger ist. Sieht man von Andrejanoffs nacherzähltem Märchen ab, dann spielt sündige Sexualität immer eine Rolle – es ist immer ein falsches Begehren. Die Bibel hat bezüglich der Beziehung zwischen Männern und Frauen gleich zwei Gebote parat: »Du sollst nicht ehebrechen.« und »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.« In beiden Geboten geht es um Treue: Wenn man sich einander versprochen hat, darf man dies nicht auflösen. Man muss treu bleiben. Mann muss treu bleiben, denn normalen Frauen wird keine aktive Sexualität
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