Lasst uns froh und grausig sein
hatte sie noch deutlich die Stapel mit Sperrmüll gesehen, die hinten am Durchgang an der Hofmauer lehnten. Jetzt wirkte alles ganz beschaulich. Die Nacht schien von einem silbrigen Schein erhellt, der die Konturen von Menschen und Häusern hervorhob und alles, was der Schnee noch nicht unter sich begraben hatte, umso deutlicher zum Vorschein kommen ließ. Von weit weg hörte sie Kirchenglocken.
Walt kam näher. Direkt auf Katinka zu. Mist, dachte sie. Sie faltete sich förmlich zusammen, lauerte in ihrer Ecke. Da trat jemand von der Straße durch den Durchgang in den Hof. Ein Typ in einem langen Mantel. Walt fuhr herum. Das Hundegebell wurde lauter und wütender. Ein zweiter Köter stimmte ein.
Katinka richtete sich ein Stück auf.
In die Sache kam Bewegung.
Der Typ schritt über den Hof. Er machte sich nicht die Mühe, die Füße zu heben, sondern schob den Schnee mit den Stiefeln vor sich her. Anscheinend hatte er Walt nicht gesehen.
Walt machte sich auf den Weg. Zaghaft hob er die Hand, ließ sie aber gleich wieder sinken, als der andere nicht zu ihm herübersah. Der Mann im Mantel betrat die Nebengebäude. Noch bevor Walt den türlosen Eingang erreichte, kam noch jemand.
Jetzt wird’s interessant, dachte Katinka. Sie hielt ihre Kamera im Anschlag, bereit, ein Foto zu schießen. Der Dritte war ein spilleriger Kerl in einer kurzen Ballonjacke, der die Hände tief in die Hosentaschen getrieben hatte. Unter dem einen Arm klemmte etwas Flaches, Sperriges.
Er blieb unschlüssig im Hof stehen, sah sich um, entdeckte Walt, rief etwas, Walt winkte hektisch über den Hof. Katinka hörte sein laut gezischtes »Psssst!«
Walt übernahm das flache Paket von dem Hänfling, reichte ihm im Gegenzug etwas, das Katinka im Schneetreiben nicht sehen konnte. Walt wendete sich um, ging durch die Hintertür zurück in den Club. Der Spillerige machte kehrt und trabte mit hochgezogenen Schultern auf den Durchgang zur Laurenzistraße zu.
Genau in diesem Moment trat der Mann im langen Mantel aus den Nebengebäuden. Abgelenkt sah Katinka zu ihm hinüber. Neben dem Kaninchenstall machte sie sich so klein sie nur konnte. Hatte der Lange auf den Spillerigen gewartet? Verdutzt blickte Katinka zur Mauer, die den Hof zur Straße abschloss. Der dünne Kerl mit der Ballonjacke war verschwunden! Sie kniff die Lider zusammen: Seine Fußspuren reichten aber nur bis zur Mitte des Hofes und führten dann zu den Nebengebäuden. Er musste irgendwo dort vor einer der leeren Fensterhöhlen stehen und warten.
Ein Knacken fesselte ihre Aufmerksamkeit. Der Mantelträger sackte rücklings in den Schnee. Blieb liegen. Katinka tastete nach ihrer Waffe. Von dem Spillerigen war im ganzen Hof nichts mehr zu sehen. Der Mann rührte sich nicht. Blieb einfach bewegungslos liegen, während der Schnee ihn Millimeter für Millimeter in all seiner Barmherzigkeit zudeckte. Sie löste sich aus ihrem Versteck und ging langsam über den Hof.
Überrascht stellte sie fest, dass der Schnee in Regen überging. Die Hunde bellten nicht mehr.
Zur selben Zeit
Dante Wischnewski studierte aufmerksam die Listen mit Rezepten, die Caren einzeln neben ihm ablegte. »Noras Pläne für ihr Weihnachtsmenü. Sie will den Club vollkriegen.« Caren ging hinter die Theke und bediente die Kaffeemaschine. »Gar nicht so einfach, das alles hier in den Griff zu bekommen. Cappuccino?«
»O.k.«, sagte Dante. Von dem Schnaps war ihm nicht gut. Er mochte eigentlich überhaupt keine Kräuterschnäpse, aber was tat man nicht alles, um an gute Geschichten zu kommen. Caren Seidel sah so aus, als habe sie jede Menge davon auf Lager. Bei ihrer Vita! Neugierig blätterte er durch den Stapel Rezepte. Die Texte waren unbeholfen formuliert und strotzten vor Tippfehlern. »Das muss aber dringend mal jemand redigieren«, schlug er vor.
»Machen Sie das halt! Sie sind doch vom Fach!«
»Na ja.«
»Bilden Sie sich nicht ein, dass Nora Ihnen dafür was zahlt. Ich schätze allerdings, Sie können damit rechnen, ein leckeres Dessert vorgesetzt zu kriegen. Lebkuchensterne mit Vanille-Mascarpone und Rumtopf. Oder eine ihrer gefüllten Paprikas. Die sind legendär.«
Dante hielt ein Blatt hoch. »Der Tintenstrahldrucker braucht eine neue Patrone!«
»Wir schreiben die Menüauswahl am besten mit der Hand.« Caren brachte die Cappuccinos. Der Saxofontyp hatte sein Instrument vor sich abgelegt und starrte auf den Fernsehschirm.
»Haben Sie das gesehen?«, fragte er. »Da, schauen Sie mal auf das
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