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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Dreiundzwanzigsten abends. In Sachen Weihnachtsbräuche und Familientraditionen sind wir Neapolitaner knallhart.
    In der Bude hinter mir wurde es lebendig. Kichern, aufgeregtes Rufen. »Da ist sie ja!« »Dann können wir ja anfangen.«
    Musik schwappte aus der Bude. Klang irgendwie nach Kuba. Warm, sinnlich, frech. Musik von der Art, bei der einem die Beine zu Quirlen werden. Ich goss den Glühwein in den Matsch, warf den Becher in meine Tüte und steppte um den Stand herum. Vor der Bude drängelten sich Trauben von Leuten. Zwei bunte Scheinwerfer tauchten die Szenerie in karibisches Licht. Niemand interessierte sich mehr für Krippenfiguren, Kerzen oder die hell erleuchtete Plassenburg.
    »Willkommen, meine Damen und Herren!«, trompetete die Stimme, die eben mit Egon, Thomas oder Mirko ein Date ausgemacht hatte. »Wir präsentieren Ihnen heute was Böses. Was richtig Böses. So soll Weihnachten sein.«
    Neugierig schaukelten mich meine Hüften durch die Menge.
    »Hier ist sie, die Gewinnerin unseres Karikaturen-Wettbewerbs! Heute signiert sie für Sie ihre Bücher. Und auch die Bücher, die Sie, Ladys und Kerle, an Ihre Lieben daheim verschenken können. Da jubiliert das Herz. Haben wir nicht alle böse Absichten?« Sie lachte keck. Mir gefiel sie.
    »Bei uns bekommen Sie das besondere Postkartenbuch mit den Zeichnungen unserer Gewinnerin. Ihr spitzer Bleistift wird Ihre weihnachtsmüden Herzen gehässiger schlagen lassen. Schauen Sie sich an, was sie zu bieten hat. Nur zehn Euro pro Exemplar. Und zur Feier des Tages gibt es einen Orange Blossom umsonst. Hier ist sie: Unsere Karikaturistin: Enikö Marai!« Die letzten vier Wörter schmetterte sie in die Welt wie Knallfrösche. Ich tänzelte auf den Stiefelspitzen und reckte den Hals.
    Eine junge Frau in einem schicken Mantel marschierte durch die Reihen, eilig machten die Leute Platz. Es sah aus, als käme Moses durch das Rote Meer geschritten.
    »Willkommen, Enikö!«
    Enikö lachte. Im Licht der Spots glänzten ihre blonden Locken, und vorwitzig blitzte ein Nasenring auf. Eine wie sie hatte noch an ganz anderen Körperteilen kleine Steinchen funkeln.
    »Guten Abend!«, rief sie. Ihre Stimme klang wie ein im Wind knarrender morscher Ast.
    Nun begann der wüsteste Ansturm, dem je eine Weihnachtsmarktbude standgehalten hatte. Die Musik bullerte, und in ihrem Rhythmus knockten sich die Leute beinahe gegenseitig von den Füßen, um den Gratisdrink zu ergattern und ein Postkartenbuch von Enikö Marai dazu. Neugierig kämpfte ich mich näher. Ein Ellenbogen traf mich in die Seite. Irgendwo jaulte ein getretener Hund. Es dauerte, bis ich mich zur Bude vorwärtsgeschaufelt hatte. Enikö stand an einem Bistrotisch und signierte die ersten Exemplare. Jemand stellte ihr einen Drink hin. Ich streckte die Hand nach einem Buch aus, kriegte auch eins ab, verlor es aber gleich wieder an eine kampfbereite Konkurrentin. Als ich endlich einen Zehn-Euro-Schein über den Tresen reichte, fragte ich mich, was ich hier eigentlich tat. Geistesabwesend nahm ich das Glas mit dem Cocktail in Empfang. Noch neun Leute wippten vor mir im Takt. Noch fünf, noch vier. Enikö lachte, ließ die Locken flattern, nippte von ihrem Orange Blossom und krakelte ihren Namenszug in die Postkartenbücher. Noch zwei Frauen vor mir. Enikö griff nach ihrem Glas, führte es zum Mund, starrte plötzlich höchst erstaunt in die Ferne. Das Glas zerplatzte auf dem Pflaster. Verwundertes Murmeln, Schreie. Über allem immer noch die kubanische Musik. Enikö Marai sank zu Boden. Ihre Locken verteilten sich dekorativ in den grauen Schneeresten.
    Niemand näherte sich. Wenn der Tod auf federnden Füßen unterwegs ist, schleichen sich jene davon, die noch nicht dran sind. Ich stellte meine Plastiktüte auf dem Tresen ab, zückte meinen Dienstausweis und rief:
    »Bitte treten Sie zurück! Polizei!«
     
    *
     
    »Und das muss ausgerechnet am dunkelsten Tag des Jahres passieren«, lamentierte Tjark. Das war die Argumentationskette meines Chefs. Er begann bei den klimatischen Verhältnissen seiner ungeliebten Heimat und hangelte sich bis zu dem Mordfall durch, den wir aktuell bearbeiteten.
    »Reg dich ab!«, fuhr ich ihn an. Ich roch Morgenluft. Ein Mordfall am einundzwanzigsten Dezember bedeutete, dass meine Verwandten in diesem Jahr auf mich verzichten mussten. Ein wenig leckte das schlechte Gewissen mit rauer Zunge an mir: Enikö Marai musste sterben, nur wegen deiner Verwandten … Angewidert schüttelte ich den Kopf

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