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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Rezeptionistin.
    Nein, sie hatte keine Ahnung, der Anrufer hatte nur gemeint, dass er schon verstehen werde. Auf der Treppe nach oben überlegte er, wie er damit umgehen sollte. Wieder zurückfliegen? Das kam ihm merkwürdig vor. Die Maulwurftheorie war entkräftet worden, und er hatte den Befehl erhalten, auf eine Kontaktperson zu warten. Und wenn sein Handy manipuliert war? Vielleicht war dieser Befehl ein Trick? Auf jeden Fall war eine der Anweisungen falsch. Oder beide.
    Das Haar, mit dem er die Tür präpariert hatte, war noch an Ort und Stelle, also trat er ein und schaltete instinktiv den Fernseher an. Es gab nur eine Möglichkeit: anrufen und sich die Order von Drummond persönlich geben lassen. Er drehte die Lautstärke herunter und griff nach dem Haustelefon. Es klopfte an der Tür. Er legte den Hörer zurück und nahm einen Revolver aus dem Schrank. »Ja?«
    »Sieben zwei sechs null drei neun.«
    Einner warf einen kurzen Blick auf die Waffe und steckte sie dann in den Hosenbund. Er öffnete und bemerkte einen kleinen Asiaten – kein Chinese, ein Malaie vielleicht –, der ihn streng musterte, als er antwortete: »Vier zwei …« Weiter kam er nicht. Der Mann hatte eine
alte kroatische Pistole in der Hand, eine PHP mit einem kurzen Schalldämpfer. Er drückte ab, und die Wucht des Einschlags schleuderte Einner mehrere Schritte zurück. Er spürte keinen Schmerz, noch nicht, nur ein Gewicht im Bauch, das es ihm schwermachte, nach seinem Revolver am Rücken zu greifen. Trotzdem versuchte er es, als der Mann einen Schritt nach vorn machte und ihm in die Stirn schoss.
    Zuerst verlor er das Sehvermögen, dann kam allmählich alles andere zum Erliegen. Aber der Tod ist relativ wie die Liebe. In den letzten Sekunden kann sehr viel geschehen, und wie ein Urteil, das er ohne sein Wissen gegen sich selbst gefällt hatte, tauchten vor seinem inneren Auge eine Straße und Bäume südlich der französischen Ortschaft Gap auf. Der Unfall, den er arrangiert hatte. Die französische Agentin tot am Steuer, das Mädchen unter Schock. Sein Hilfsangebot. Wie er sie zu seinem Geländewagen brachte. Ihr Schweigen. Wie er stehen blieb und ihr erklärte, dass sie wegmussten. »Dort hinten wohnt ein Freund von mir. Gleich nach den Bäumen. Er ist Arzt.« Wie er sie tragen musste, weil ihr die Beine versagten. Ihre zögernden Fragen und ihr überraschend scharfer Schweißgeruch. Wie er den Atem anhielt und nur an den nächsten Schritt dachte. Wie er marschierte, bis er die zwei Bäume bemerkte, deren Stämme sich kreuzten, als hätten sie nur auf ihn gewartet. »Setz dich kurz hin, ich muss mich ausruhen.«
    »Wo ist das Haus von dem Arzt?«, fragte sie matt.
    »Gleich da drüben.« Er deutete, und als sie sich umschaute, näherte er sich mit ausgestreckten Händen, aber sie hatte sich schon wieder zurückgewandt, die Augen groß. Nur an den nächsten Schritt denkend, drehte er sie erneut nach vorn, hob sie hoch, packte sie am Kinn und
zog fest und schnell, bis er ein scharfes Knacken hörte; dann wurden seine Beine weich, er stürzte zusammen mit ihr hin, und alles war vorbei.
    Ich weiß, was du jetzt denkst, denn alle Touristen reagieren gleich auf diese Geschichte. Du glaubst sie nicht. Und wenn doch, meinst du, dass dieser Mann von Anfang an aus dem Gleichgewicht war. Aber du täuschst dich. Er war der Beste. Er war besser, als du es je sein wirst.
    Wenn du glaubst, dass dir das nicht passieren kann, bist du genauso ein Narr wie er.

14
    Zwei Wochen später, am Tag nach der letzten Panichida, die die vierzigtägige Trauerzeit der orthodoxen Kirche beendete, landete Andrei Stanescu am John F. Kennedy Airport in New York. Seine kleine, schäbige Reisetasche, die er vor der Übersiedelung in den Westen auf einem Markt in Ungheni gekauft hatte, beherbergte ein paar Toilettenartikel, Kleider zum Wechseln und eine zerknitterte Karte von Manhattan mit Eintragungen in seiner unleserlichen Kurzschrift. Er hielt seinen Pass bereit für den kurz angebundenen und humorlosen Grenzbeamten hinter Plexiglas, der ihm mehrere Fragen zu seinem Besuch stellte. Das war ein Kinderspiel. In seinem Leben hatte er schon oft strenge Fragen von Grenzposten, Milizionären und Behörden beantworten müssen.
    »Was ist der Zweck Ihres Aufenthalts?«
    »Bitte?«
    »Ihr Aufenthalt. Warum sind Sie hier?«
    »Sehen Amerika.«
    »Sie sind also Tourist?«
    »Ja, Tourist.«
    Der Beamte inspizierte die neuen Visa – das kürzlich verlängerte Schengen-Visum und

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