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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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unterhielt, sehr beharrlich), dann vertiefte er sich wieder in seine Seite.
    Er war sich nicht sicher, was er von dem Buch halten sollte, aber es war wohl keine Lektüre, die man gleich beim ersten Mal verarbeiten konnte. Einige Ratschläge wirkten merkwürdig banal, während ihn andere Stellen hellhörig machten und ihn an sein vergangenes Handeln zurückdenken
ließen. Kannte er Empathie, wie es das Schwarze Buch so eindringlich forderte? Schwer zu sagen.
    War ihm das Scheitern vertrauter als die eigene Mutter? Nein. Dazu war er noch nicht oft genug gescheitert, aber auch für diesen Fall hatte das Buch die passenden Worte parat:
    Wenn du noch neu im Spiel bist und bisher nur Erfolg gekannt hast, willst du das bestimmt nicht hören. Klar, denkst du, manche Touristen scheitern, aber es besteht immer die Möglichkeit, dass ich der Glückliche bin, der davonkommt.
    Du täuschst dich. Manchmal wirst du eine Operation abschließen und alle Ziele erreichen, nur um später zu erfahren – vielleicht erst Jahre später –, dass du auf eine bestimmte, damals nicht erkennbare Weise gescheitert bist. Sehr wahrscheinlich werden sich deine Erfolge und Misserfolge die Waage halten.
    Das war wie vieles in dem Buch deprimierend, und er bestellte sich einen Schweizer Grappa, um sich ein wenig zu erholen.
    Lass dich nicht abschrecken; du bist trotzdem besser als die meisten Agenten. Wenn man eine Geheimstudie aus dem Jahr 1986 zugrunde legt, hat ein Tourist durchschnittlich zu 58 Prozent Erfolg, während ein normaler Nachrichtendienstmitarbeiter nur in 38 Prozent der Fälle einen Erfolg vorweisen kann. Du wirst erfreut zur Kenntnis nehmen, dass sich FBI-Agenten im Bereich von 32 Prozent bewegen, während der KGB 1986 immerhin 41 Prozent verzeichnet. Für MI6-Agenten wurden nie Zahlen veröffentlicht, doch das Außenministerium schätzt sie irgendwo knapp unter vierzig ein, wohingegen es DGSE-Agenten 1995 (laut einem
durchgesickerten französischen Bericht) nur auf erschütternde 28 Prozent bringen.
    Für einen Touristen gibt es nur eine Möglichkeit, mit dem Scheitern umzugehen: Er behandelt es wie einen Erfolg.
    Links von ihm wartete eine attraktive Blondine darauf, dass ihr Freund von der Toilette zurückkam. Die Musik ödete sie an, und sie war schon die ganze Zeit gelangweilt, während ihr Freund – ein strohblonder, schlaksiger Typ irgendwo in den Zwanzigern – wie eine spastische Ente zum Rhythmus zappelte und zuckte. Es war die Zeit des Internationalen Jazzfestivals in Bern, und von seiner Sorte liefen einige in der Stadt herum. Die Blondine beugte sich zu Einner: »Du kommst zum Lesen in einen Club?«
    Er lächelte sie an. »Ich komm her, um Mädels aufzugabeln, aber die einzig Gutaussehende hier ist schon vergeben. «
    »Wirklich? Wo ist sie?«
    Er behielt sein Lächeln bei, bis sie erfreut errötete. Er trank sein Glas leer und ging. Er fühlte sich warm und erfüllt und beschloss, zu Fuß zum Hotel zu laufen, statt ein Taxi zu nehmen. Wenn dort dieser arme Klein auf ihn wartete, dann musste es eben sein. Er marschierte die Engestraße hinauf, überquerte die Brücke über die Bahngleise zur Tiefenaustraße und setzte seinen Weg zur Aare fort, wo er am Ufer vereinzelt an Spaziergängern oder schmusenden Pärchen vorbeikam. Er steckte die Hände tief in die Taschen und genoss die Kälte nach dem stickigen Club. Plötzlich fiel ihm eine besonders trostlose Passage aus dem Buch ein.

    Eine wahre Geschichte, Tourist. Pass gut auf.
    Es war einmal ein Mann, den man als den Paul Bunyan des Tourismus bezeichnen könnte, wenn Legenden in unserem Gewerbe erlaubt wären. Sechzehn Jahre ununterbrochene Arbeit – sieben Jahre mehr als die durchschnittliche Lebenserwartung eines Touristen nach Aufnahme seines Berufs –, und sogar seine Gegner räumten ein, dass er seine Aufträge brillant erledigte. Er hatte Freunde auf ihrer Seite, Freunde, die alles für ihn getan hätten, obwohl er auf ihre Vernichtung abzielte. Er führte ein außergewöhnliches Leben und hatte in jeder Stadt eine Frau, hielt sich aber hauptsächlich an Stewardessen, weil nur sie etwas mit ihm anfangen konnten. Sie verstanden, dass er keine Heimat hatte und dass seine Füße sein einziges Vaterland waren.
    Das begreifen nur Flugbegleiterinnen – vergiss das nicht.
    Nach sechzehn Jahren fand er, dass die Zeit für seinen Abgang gekommen war. Er hatte genügend Narben für drei Lebensabende voller Geschichten gesammelt, und er hatte genügend Geld gespart, um

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