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Last Exit

Last Exit

Titel: Last Exit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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sich eine kleine Insel zu kaufen. Aber wie bei den meisten Menschen war es die Liebe, die ihm den Garaus machte.
    Nicht aufhören zu lesen. Gleich wird’s spannend.
    »Spannend« war ein schlechter Ausdruck für das Folgende, dachte er, als er an einem alten Mann auf einer Bank vorbeischlenderte, dessen behandschuhte Hand neben dem Knie auf einen Stock gestützt war. Einner nickte ihm freundlich zu, aber der Mann nahm ihn gar nicht wahr. Auch er war mit den Gedanken anderswo.
    Dieser Tourist hat etwas Wichtiges vergessen. Er hat vergessen, dass alles, was wir tun, an uns haftet. Er kaufte sich ein Haus in der Stadt und ein zweites in den Bergen. Er heiratete
die letzte Stewardess, die zufällig ebenfalls die Nase voll hatte von all den Flugmeilen.
    Und sie schafften es. Fünf Jahre vergingen. Sie bekamen ein Kind, dann noch eins. Ab und zu meldeten sich seine alten Kameraden, aber er wollte keinen Kontakt zu ihnen. Es war ein neues Leben, anders als die vielen kleinen Leben, die er früher in all diesen Städten geführt hatte. Einige Freunde machten sich Sorgen und warnten ihn, dass es nicht so leicht war.
    »Aber es ist so leicht«, antwortete er und kehrte zurück zu Frau und Kindern in seine Oase des Friedens, um sich in sein weiches Bett zu legen.
    Dann, fünf Jahre, sieben Monate und sechs Stunden nach Beginn dieses großen Lebensexperiments, wacht er schweißgebadet auf. Seine Frau, die neben ihm schläft, ist nicht mehr seine Frau. Sie ist wieder ein GESICHT. Nur ein GESICHT. Wie die, an die er sich von zahllosen Flughäfen und Bahnhöfen und Busstationen erinnert, ist es erfüllt von drohendem Verrat. Denn so sind GESICHTER für einen Touristen. Jedes GESICHT ist eine Möglichkeit, gefasst, denunziert, gefoltert, ausgeplündert, zusammengeschlagen zu werden. Und nur die süße Paranoia hält uns am Leben.
    James Einner war seit drei Jahren Tourist. Seine Arbeit gefiel ihm. Er liebte die süße Paranoia, die ihn am Leben hielt. Zu behaupten, dass er auch das Morden liebte, wäre übertrieben gewesen, aber es machte Spaß, eine Liquidierung zu planen und vor allem sich einen schlauen Fluchtplan zurechtzulegen. Er genoss das Gefühl, das Vertrauen von Leuten zu gewinnen, und den Adrenalinstoß, wenn ihnen das entscheidende geheime Detail entschlüpfte, das ihnen nie über die Lippen gekommen wäre, wenn er nicht so gute Arbeit geleistet hätte. Sicher, sie waren alle GESICHTER, trotzdem waren sie auch Menschen. Gegner
erforderten ein gewisses Maß an Respekt, auch wenn er kurz davorstand, sie zu töten. Auch wenn sie etwas taten, das ihm keine Freude bereitete und ihm sogar an die Nieren ging: wenn sie um ihr Leben flehten.
    Aber das kann doch einfach nicht sein! Und was ist mit den fünf wunderbaren Jahren? Er schaut nach seinen Kindern. Kinder. Wenigstens die können dich nicht verraten. Doch da fällt ihm ein Auftrag in Tanger ein, noch einer in Beirut, eine üble Sache in Delhi. Städte, wo Kinder eingesetzt werden, um Sprengsätze zu legen, Nachrichten zu überbringen und Informationen zu sammeln. Alle sind Verräter. Das liegt in der Natur. Auch Kinder sind bloß GESICHTER.
    Also steigt er hinunter in den Keller, wo er seine Waffen eingeschlossen hat, und sucht die alte Walther PPK heraus, die ihm früher immer gute Dienste geleistet hat. Dann löscht er sie aus. Einen nach dem anderen. Eine Tragödie. Eine Schande. Das erkennt er, nachdem er es getan hat, denn nach der Gewaltorgie ist sein Kopf wieder klar. Er erinnert sich, dass er ihre Schreie ignoriert hat wie die statistischen Schreie von Passagieren in einem abstürzenden Linienjet.
    Seine Freunde hatten recht, alle. Aber Touristen sind eitel, vor allem wenn sie im Ruhestand sind, und dieser kann es nicht ertragen, seinem Irrtum ins Auge zu sehen. Also steckt er sich die Walther in den Mund, die einmal sein bester Freund war.
    Auf beiden Uferseiten erhob sich die Stadt, und er strebte zurück, bis er endlich das Jugendstilhotel Belle Epoque erreichte. Eigentlich waren ihm moderne Monstrositäten lieber, aber ein Bekannter in Paris hatte ihm das Haus empfohlen. Anscheinend hatte dieser Bekannte mehr für Kunst übrig als er.

    Er holte seinen Schlüssel bei der bezaubernden jungen Empfangsdame ab, die ihm mitteilte, dass kein Besucher nach ihm gefragt hatte. Aber jemand hatte am Telefon eine Nachricht für ihn hinterlassen. Sie reichte sie ihm.
    Myrrhe
- Milo Weaver
    »Haben Sie eine Ahnung, was das bedeuten soll?«, fragte er die

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