Lauf, so schnell du kannst
verscheucht, und die meiste Zeit über hatte sie nur gejammert. Die Strecke war zu anstrengend, es war zu heiß oder zu kalt, oder sie hatte Durst, oder sie hatte Hunger, oder ihr taten die Füße weh, oder die Moskitos fraßen sie bei lebendigem Leibe auf. Sie war einfach kein Naturmensch – und das war noch die Untertreibung des Jahres. Sie wohnten jetzt seit acht Monaten zusammen, und obwohl er sich ziemlich sicher war, dass er sie liebte, war er sich nicht so sicher, ob er wirklich eine Frau heiraten konnte, die sich mehr für ihre Fingernägel und ihre Schuhe interessierte als für … das hier.
Jetzt, wo er darüber nachdachte, hatte sie vielleicht die gleichen Vorbehalte, aber umgekehrt, in Bezug auf ihn. Würde sie jemanden heiraten wollen, der etwas genoss, das sie so sehr hasste? Danny rückte seinen Rucksack zurecht und ging den Pfad hinunter. Er dachte weiter an Heather. Okay, sie war vielleicht nicht perfekt, aber sie hatte auch ihre guten Seiten. Es gefiel ihr nicht, dass er zwei oder drei Mal im Jahr allein loszog, aber sie hatte auch nicht versucht, ihn zu überreden, zu Hause zu bleiben. Sie hatte nicht geweint oder behauptet, er würde sie nicht lieben, nur weil er etwas ohne sie unternehmen wollte. Nein, sie hatte ihm stattdessen ein tragbares GPS -Gerät und eine Dose Bärenspray gekauft und ihn losgeschickt.
Er brauchte zwar beides nicht, aber um Heather glücklich zu machen, hatte er es mitgenommen. Sein GPS -Gerät besaß keinen Positionsanzeiger, aber er hatte sich noch nie im Leben verlaufen. Es war, als hätte er einen eingebauten Kompass im Kopf. Er wusste immer, woher er gekommen war und wie er dorthin gelangen würde, wohin er ging. Was das Bärenspray betraf, so war es nur eine zusätzliche Last; er dachte nicht, dass er es brauchen würde. Die ganze Literatur über Bären sagte, dass sie die Menschen genauso meiden wollten wie die Menschen sie. Aber die Dose befand sich in einer leicht zugänglichen Tasche seiner Cargohose, nur für den Fall – um Heather glücklich zu machen. Er hatte nicht geschummelt, indem er sie zu Hause gelassen hatte, weil er ihre Frage, ob er es mitgenommen hatte, guten Gewissens mit »Ja« beantworten wollte.
Danny blieb wieder stehen; er spähte durch eine Lichtung in den Bäumen, die einen weiteren spektakulären Ausblick bot, aber dieser hier war von einigen Lärchen umrahmt. Er zog seine Digitalkamera aus einer Tasche; sein Hobby – na ja, sein
anderes
Hobby – war Fotografie, und er hatte hier oben schon ein paar tolle Aufnahmen gemacht. Sie waren vielleicht nicht gut genug, um sie zu verkaufen oder so, aber ihm reichten sie. Wenn er sich dieses Foto später wieder anschauen würde, würde er sich an die Einsamkeit erinnern, an das tiefe Gefühl von Frieden.
Kein Wunder, dass es so schwer für ihn war, einen passenden Job zu finden. Er hätte vor zweihundert Jahren leben und ein Trapper sein sollen. Bei dem Gedanken musste er lächeln. Er schoss ein paar Fotos, überprüfte die Qualität im Wiedergabemodus und steckte die Kamera dann in die Tasche zurück.
Ein Rascheln hinter sich ließ Danny herumfahren. Ihm blieb fast das Herz stehen, und für einen Moment hatte er das Gefühl, als würde er ohnmächtig und alles Blut wäre ihm aus dem Kopf nach unten in den Bauch gewichen. Sein Verstand konnte nur mit Mühe verarbeiten, was er sah, denn es war einfach falsch. Ein Schwarzbär in weniger als dreißig Meter Entfernung, und er kam direkt auf ihn zugetapst. Ein
riesiger
Schwarzbär. Er hatte gewusst, dass es hier welche gab, aber bei all seinen Ausflügen war er noch nie einem begegnet.
Für einen Moment stand er nur da und blinzelte, als spielten ihm seine Augen einen Streich und er müsste nur schnell genug blinzeln, damit der Bär wieder verschwand. Nein, er war immer noch da, kam immer noch auf ihn zu. Er blinzelte wieder und fragte sich – hoffte –, dass seine Augen ihm einen Streich spielten. Einige kostbare, verschwendete Sekunden lang war er wie erstarrt, sein Blick klebte an den gewaltigen Klauen, während er versuchte, sich an all die Verhaltensratschläge zu erinnern, die er gehört hatte, für den Fall, dass man in der Wildnis einem Bären gegenüberstand.
Sieh ihm nicht in die Augen.
Zieh dich langsam zurück.
Sprich mit leiser, ruhiger Stimme.
Im Ernst? Mit ihm sprechen? So als würde das Tier seine Sprache verstehen?
»Braver Bär.« Seine Stimme zitterte ein wenig, aber er sprach so fest und beruhigend, wie er konnte,
Weitere Kostenlose Bücher