Laura Leander 02 - Laura und das Siegel der Sieben Monde
den Kelch entrissen, sie überwältigt und wie eine Teppichrolle zusammengeschnürt hatten, konnte sie die beiden nun davon abhalten, sie durch die Flure des Ferienhauses zu schleppen, obwohl sie sich wild gebärdete und zuckte wie ein gefangener Aal. Der Stoffknebel, den sie ihr in den Mund gestopft hatten, erstickte jeden Hilferuf bereits im Ansatz. Der stinkende Fetzen reizte Laura zum Würgen, und sie konnte von Glück reden, dass sie überhaupt Luft bekam.
Als das Mädchen bemerkte, dass es ins Kaminzimmer gebracht wurde, war es doch überrascht. Was wollten die Kerle denn im Kaminzimmer mit ihr? Seltsam! Im Keller gab es doch einige Räume, die weit besser dazu geeignet waren, jemanden gefangen zu halten, als der gemütliche Fernsehraum. Schließlich hatten sie es doch ganz offensichtlich nicht nur auf den Kelch abgesehen, sondern wollten sie auch aus dem Verkehr ziehen. Bis nach dem Ostarafest wahrscheinlich. Denn dann würde es wieder drei lange Monde dauern, bis sie durch die magische Pforte nach Aventerra gelangen konnte.
Der Gedanke, der urplötzlich in Laura aufstieg, ließ mit einem Schlag alle Gegenwehr erlahmen: Was, wenn die Dunklen den Kelch noch in dieser Nacht in die Welt der Mythen zurückbrachten? Bis zum Sonnenaufgang war doch noch reichlich Zeit, um dem Schwarzen Fürsten das ersehnte Gefäß mit dem kostbaren Wasser des Lebens zu übergeben, womit er endlich am Ziel seiner Wünsche angelangt wäre. Er war dann nicht mehr darauf angewiesen, dass Laura ihm den Kelch aushändigte, um ihrem Vater das Leben zu retten. Dann bestand für ihn auch kein Grund mehr, Marius Leander zu schonen, und nichts würde ihn davon abhalten, Papa eiskalt zu töten!
O h, nein!!! Laura hätte am liebsten laut aufgeschrien angesichts dieser schlimmen Erkenntnis. Allein der Knebel hinderte sie daran. Die Tränen, die nun über ihre Wangen strömten, konnte er jedoch nicht zurückhalten.
Zu Lauras Verwunderung setzten die beiden sie in einem Fernsehsessel ab. Konrad Köpfer trat an die Holzvertäfelung zwischen den beiden Bücherregalen und fingerte daran herum. Offenbar löste er eine verborgene Verriegelung, denn mit einem Mal ließ die Holzwand sich mühelos zur Seite schieben. Eine Stahltür kam zum Vorschein. Ob es sich dabei vielleicht um den Eingang zu einem Bunker handelte? Soweit Laura sich erinnerte, war das Haus an einem Hang gebaut, sodass es im Berg mit Sicherheit genug Platz für einen solchen Schutzraum gab. Plötzlich ging ihr auf, warum sie damals, in den Winterferien, als sie die Stimme von Quintus Schwartz im Fernsehzimmer zu hören meinte, diesen dann trotzdem nicht im Raum entdecken konnte. Er hatte sich wohl kurzerhand in den Bunker zurückgezogen, sodass Laura glaubte, sich getäuscht zu haben.
Natürlich – so musste es gewesen sein!
Da zog Konrad Köpfer auch schon die perfekt getarnte Panzertür auf. Dahinter verbarg sich tatsächlich ein Bunker. Noch bevor die Bösewichte sie packten, um sie hinein zu stoßen, wusste Laura, wen sie dort wiedersehen würde.
Kaltes Neonlicht erhellte den Schutzraum und ließ die Haut von Aurelius Morgenstern noch fahler aussehen. Seine faltigen Züge entgleisten, als er die gefesselte Laura erblickte, und ein Seufzer der Verzweiflung drang aus seiner Kehle, während er sich in einem Stahlrohrbett aufrichtete, das in der äußersten Ecke des geräumigen Bunkers stand.
»Damit hat er wohl nicht gerechnet!«, höhnte Konrad Köpfer, während er Laura auf dem Boden absetzte und Kevin sich daran machte, ihre Fesseln zu lösen. »Jetzt ist er mit seinem Latein am Ende, der hochgelehrte Herr, was?«
Der Professor überhörte die hämische Bemerkung. »Was habt ihr mit uns vor? Wie lange wollt ihr uns hier noch festhalten?«, bestürmte er den hageren Mann.
»Solange es meinem Gebieter gefällt«, antwortete Konrad Köpfer. »Es mangelt ihm hier doch an nichts, und er wird bestens behandelt – oder will er sich vielleicht beklagen?«
Morgenstern antwortete nicht, sondern musterte seine Schülerin besorgt.
Endlich war Laura frei von den Stricken. Als Kevin ihr den Knebel aus dem Mund nahm, konnte sie sich nur mit Mühe beherrschen. Sie hätte am liebsten losgebrüllt und ihn mitten ins Gesicht geschlagen. Wut und Enttäuschung lieferten sich einen erbitterten Kampf in ihrem Innern. Noch von keinem Menschen war sie so hintergangen worden wie von Kevin. Während sie sich die schmerzenden Glieder rieb, zischte sie den Jungen an: »Für diesen Verrat wirst du
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