Laura und das Labyrinth des Lichts
Ziehbrunnens stand. »Komm«, forderte er den Ritter auf. »Dort können wir in Ruhe reden!«
Nur zwei Tauben schienen sich gestört zu fühlen, als die Männer sich dort niedersetzten. Laut gurrend flatterten sie vom Ziegeldach des Brunnens auf und flogen in Richtung Kräutergarten davon. Der Hüter des Lichts sah ihnen versonnen nach, bevor er sich an Paravain wandte. Er sprach aus, was der Ritter dachte: »Es scheint nahezuliegen, das Dunkle Schwert im Labyrinth aufzubewahren. Zum einen wäre es dort zweifelsohne sicher – und zum anderen ist Pestilenz aus dem gleichen Metall wie Hellenglanz geschmiedet, nicht wahr?«
»Genau so ist es, Herr! Beide Schwerter wurden aus dem Eisen gefertigt, das zum Anbeginn der Zeiten von den Sternen auf Aventerra herabregnete. Wie die zwei Seiten einer Medaille sind sie deshalb untrennbar miteinander verbunden, auch wenn sie gegensätzliche Kräfte besitzen.«
Zur Verwunderung des Ritters wiegte der greise Herrscher bedenklich den Kopf. »Das ist durchaus richtig, Paravain. Und doch ist es nur die halbe Wahrheit. Entscheidend ist nämlich nicht nur ihre Herkunft, sondern auch die unterschiedliche Art und Weise, wie die Schwerter ihre Kräfte erhalten haben. Aber um das zu erläutern, muss ich ein wenig ausholen.«
Paravain lauschte gespannt.
»Am Anfang der Zeiten«, fuhr der Hüter des Lichts fort, »beauftragten die Drachenkönige die Dunkelalben mit dem Schmieden der beiden Waffen. Die mächtigen Drachen herrschten damals über ganz Aventerra und befanden sich im Besitz des wertvollen Sterneneisens. Als der Auftrag zu ihrer Zufriedenheit erfüllt war, verschenkten sie die Schwerter – das eine an die Krieger des Lichts, das andere an das Dunkle Heer.«
Elysion hob den Blick. »Bis zu diesem Zeitpunkt waren beide Waffen vollkommen gleich!«, betonte er. »Erst danach erhielten sie ihre jeweiligen magischen Kräfte, durch zwei Rituale, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten.
Der damalige Hüter des Lichts brachte sein Schwert in den Karfunkelwald. In dessen Mitte liegt ein See, der von der Quelle des Lebens gespeist und von der Einhornkönigin bewacht wird. Ihr Horn besitzt die größte Zauberkraft von allen Einhörnern. Immer dann, wenn zur Mittsommernacht Vollmond herrscht, streifen die Einhörner ihr Horn ab und verlieren den darunter verborgenen Karfunkelstein. Auf wundersame Weise wächst danach ein neues Horn.
Und besonders das neue Horn der Einhornkönigin beinhaltet die Kraft des reinen Lichts. Als sie ihr Horn einst in den See tauchte, übertrug sich diese Kraft auf das Wasser des Lebens. Und das mit diesem Wasser besprengte Schwert wurde zu Hellenglanz, dem Schwert des Lichts, das seither uns Kriegern der Gralsburg dient.«
Paravain hatte den Worten seines Gebieters atemlos zugehört. »Und was geschah mit dem anderen Schwert?«, wollte er wissen.
»Das andere Schwert wurde in der Nacht der Wintersonnenwende, in der die Macht der Dunkelheit am größten ist, von einem zauberkundigen Fhurhur in den Schwarzen Schlund gebracht, den finstersten Ort auf Aventerra. In einem schwarzmagischen Ritual tränkte er es mit dem Blut eines schwarzen Einhorns …«
»O nein!« Paravain erblasste und schlug die Hand vor den Mund. Er wusste natürlich, dass das Blut eines schwarzen Einhorns überaus mächtige unheilvolle Kräfte beinhaltete.
»Beliaal, der Dämon des Todes und Herrscher der Finsternis, hatte das Wesen eigens zu diesem Zweck geopfert!«, erklärte der Hüter des Lichts weiter. »Seit damals ist Pestilenz das ebenso schreckliche wie wirkungsvolle Schwert des Bösen. Die Wunden, die es schlägt, verheilen nie und führen unweigerlich zum Tod, es sei denn, man besprengt sie mit dem Wasser des Lebens. Und außerdem …« Elysion blickte seinen Ritter mit ernster Miene an. »… ist Pestilenz die einzige Waffe, die mir zum Verhängnis werden kann.«
Paravain schwieg. Er schluckte und musste an die schrecklichen Tage denken, da es dem Schwarzen Fürsten Borboron tatsächlich gelungen war, den Hüter des Lichts mit dem Schwert zu verletzen. Obwohl Elysion nur einen winzigen Kratzer an der Wange davongetragen hatte, war er niedergesunken und mit jedem Tag schwächer geworden. Seine Lebensenergie war dahingeschwunden, bis er kurz davorstand, in die Ewige Dunkelheit einzugehen. Es war dieses tapfere Mädchen vom Menschenstern gewesen, Laura Leander, das ihn im letzten Augenblick vor dem sicheren Tod gerettet hatte. Laura war es gelungen, den Kelch der
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