Schillernd
1. Nicht schon wieder!
Ich bin alleine in diesem prächtigen Zimmer, das einer Art-déco-Zeitschrift entsprungen sein könnte, und lasse die letzten sechs Monate meines kurzen Lebens Revue passieren. Ich, Amandine Baumann, ein einfaches, unauffälliges Mädchen, habe auf der Überholspur gelebt, hinfort getragen von dem Wirbelwind Gabriel Diamonds, und bin nun die Gefangene meiner eigenen Gefühle und meiner Bewunderung für diesen halb engelhaften, halb dämonischen Mann. Ich bin seinem Charme und seiner feurigen Leidenschaft verfallen und er hat mir die Tür zu einer Welt geöffnet, in der Geld und Lust in Strömen fließen. Aber wer ist dieser Mann wirklich? Wie konnte er Eleanor vor dreizehn Jahren im Stich lassen, als sie sich das Leben nehmen wollte? Sie war die Liebe seines Lebens, seine zukünftige Ehefrau und die Mutter seines Kindes. Wie konnte er sie nur schutzlos ihrer Krankheit und ihrem morbiden Wunsch, zu sterben, überlassen? Mein Geliebter hat sein Geständnis abgelegt, er hat mir endlich die Wahrheit gesagt und ich bin aus allen Wolken gefallen.
Was ist, wenn er auch mich verlässt? Wäre er bei Eleanor geblieben, wäre sie nicht gestorben …
Ich bin so sehr in Gedanken versunken, dass ich nicht einmal bemerke, wie mir die Tränen über die Wangen laufen. Sie schmecken nach Wut und Enttäuschung. Ein monotoner Piepton holt mich wieder zurück in die Realität: Der Akku meines Handys ist fast leer.
Und er ist nicht der Einzige …
Doch damit nicht genug: Meine Gedanken kreisen nicht nur um die Vergangenheit meines Geliebten, sondern auch um die verzerrte Stimme, die vor wenigen Minuten zu mir gesprochen hat.
„Ich bin noch lange nicht fertig mit dir.“
Ist der Rabe wirklich wieder zurück? Ist das wieder nur ein dummer Scherz von Silas, dem verrückten Zwillingsbruder, der mich schon seit Wochen verfolgt? Oder hat sich jemand anders dazu entschlossen, die Nachfolge des Raben anzutreten und mich zu quälen?
Aber wer? …
Während ich diese Kreatur verfluche, die es darauf abgesehen hat, meine Wenigkeit und meine Beziehung mit Gabriel, die so schon kompliziert genug ist, zu zerstören, werde ich erneut aus meinen Gedanken gerissen. Jemand klopft an die Tür …
„Gabriel, ich habe dich gebeten, mir Zeit zu lassen!“
„Ich bin es, Silas. Darf ich reinkommen?“
Mein Herz macht einen Satz. Er will mich provozieren, da bin ich mir sicher! Er wird in schallendes Gelächter ausbrechen, wenn er mich so niedergeschlagen sieht, und mir schließlich auf die Schulter klopfen, um mir zu sagen, dass alles nur ein „Scherz“ war. Ich ziehe mich in Windeseile an, schlüpfe in Jeansshorts, ziehe ein schwarzes Top über und binde mir die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Ich bin mir sicher, es mit dem Schuldigen zu tun zu haben, und denke daher auch nicht über meine Worte nach, als ich ihm die Erlaubnis erteile, die Kampfarena zu betreten.
„Ich warte, du Vollidiot!“
Als die Tür aufgeht und ich Silas’ freche und gespielt freundliche Miene bemerke, stürme ich auf ihn zu und verpasse ihm lächerliche Fausthiebe, bis er es schafft, mich unter Kontrolle zu bekommen und aufs Bett zu stoßen.
„Amandine, beruhige dich! Was ist los mit dir?“
„Du weißt genau, was ich meine, und ich finde das überhaupt nicht komisch, Silas. Ich bin deinetwegen schon einmal durch die Hölle gegangen und jetzt fängst du schon wieder an? Macht es dir Spaß, mich zu quälen?“
„Stopp! Ich verstehe gar nichts, erklär es mir bitte von Anfang an!“
„Der Telefonanruf, die verzerrte Stimme … Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass das nicht auf deinem Mist gewachsen ist?“
„Was?“
„Leg die Karten auf den Tisch, Silas, und steh dazu. Gib es endlich zu!“
„Amandine, ich schwöre dir, dass ich damit nichts zu tun habe! Ich war bei Camille, bevor ich zu dir gekommen bin. Sie kann bestätigen, dass ich in den letzten beiden Stunden niemanden angerufen habe.“
„Vielleicht hast du auch einen Komplizen?“
„Einen Komplizen? Hast du da an jemanden Bestimmten gedacht?“
Ein kleines Lächeln huscht ihm über die Lippen, als ob ihn diese Vorstellung amüsieren würde …
„Ich stelle hier die Fragen, also dreh den Spieß nicht um und antworte mir ehrlich!“
„Amandine, ich weiß jetzt, wie sehr ich dich verletzt habe. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle und bin zu weit gegangen, nur um die Erinnerung an Eleanor zu schützen. Aber ich habe auch ein Herz und ich
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