Laura und das Labyrinth des Lichts
auch schon verblasste. Ihr stach der gleiche Geruch in die Nase wie vorher auch. Offensichtlich war sie am gewünschten Ort angekommen: im Krankenhaus von Hohenstadt. Allerdings nicht auf der Intensivstation, sondern in der Eingangshalle, wie Laura nach dem Öffnen der Augen feststellte.
Die Halle war nahezu menschenleer. Laura seufzte erleichtert. Ihr war gerade erst klar geworden, wie leichtsinnig es gewesen war, ausgerechnet die Eingangshalle als Ziel ihrer Reise zu bestimmen. Nicht auszudenken, wenn zufällig anwesende Ärzte, Schwestern oder Patienten beobachtet hätten, wie sie buchstäblich aus dem Nichts feste Gestalt annahm.
Zum Glück schien niemand ihre Ankunft bemerkt zu haben. Der niedrige Raum schimmerte im trüben Licht der gedämpften Deckenbeleuchtung. Draußen vor den Fenstern hatte sich bereits die Dunkelheit eingenistet. Windböen wirbelten dicke Schneeflocken durch die Lichtkegel der Laternen, welche die Auffahrt und den daneben liegenden Besucherparkplatz mehr schlecht als recht erhellten. Laura lächelte zufrieden: Sie war in der richtigen Jahreszeit gelandet! Blieb nur noch zu hoffen, dass sie auch den gewünschten Tag erwischt hatte.
Vorsichtig blickte sie sich um. Gut zwanzig Meter von ihr entfernt befand sich eine Art Glaskasten, den das darüber hängende Schild als »Empfang« auswies. Eine der Scheiben war zur Seite geschoben, und über dem niedrigen Tresen erhob sich der blond gelockte Kopf einer Frau in Schwesterntracht. Laura holte tief Luft und ging auf die Empfangsdame zu.
Die schien Laura nicht zu bemerken und hielt den Blick auf einen dicken Wälzer gesenkt. Sie ignorierte Laura so lange, bis diese sich kräftig räusperte.
Frau Schiller – der Name stand auf dem Schildchen an ihrem Revers – zuckte zusammen. Der Roman hatte sie offenbar so sehr in den Bann geschlagen, dass sie alles um sich herum vergessen hatte. »Ja, bitte?«, fragte sie verlegen, während sich ihre Wangen röteten. »Was kann ich für dich tun?«
»Ich … ähm … ich suche das Zimmer von Frau Leander«, antwortete Laura, und fügte dann rasch hinzu: »Frau Anna Leander!«
Die Frau antwortete nicht, sondern musterte sie nur mit unverhohlener Verwunderung.
»Sie ist meine Tante«, erklärte Laura, »und hat heute ein Kind bekommen.« Ein rascher Blick auf den Abreißkalender, der hinter Frau Schiller an der Wand hing, bewies, dass es tatsächlich der 5. Dezember war – und auch das Jahr stimmte.
Die Empfangsdame zeigte noch immer keine Reaktion.
Was hat sie nur?, überlegte das Mädchen fieberhaft und fuhr hastig fort: »Mein Onkel hat mir eine Mail geschickt, dass ich Anna und das Baby sehen darf, wenn ich möchte. Leider hat er die Zimmernummer vergessen.«
Die Frau öffnete den Mund und schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Eine … was?«
»Eine Mail!«, wiederholte Laura. »Frau Leander hat doch heute ein kleines Mädchen zur Welt gebracht, nicht wahr? Jedenfalls hat Onkel Marius das geschrieben.«
Die Schwester klappte den Mund wieder zu und starrte erneut auf Lauras Jacke. »Na, so was«, murmelte sie mit einem schrägen Blick auf ihr Buch vor sich hin. Laura konnte inzwischen das Titelbild erkennen und stellte fest, dass es sich um einen Science-Fiction-Roman handelte.
Langsam wurde sie unruhig. Ist der Frau vielleicht nicht gut?, überlegte sie. Oder warum antwortet sie mir nicht, sondern starrt mich nur an, als wäre ich ein Geist oder ein außerirdisches Wesen?
»Du befindest dich in der Vergangenheit, Laura, vergiss das nicht!«, hörte sie eine wohlvertraute Stimme hinter sich. Überrascht drehte sie sich um und erblickte Auriel. Schon wollte sie ihn fragen, wo er so plötzlich herkäme, da legte er ihr die Hand vor den Mund.
»Pssst, Laura!«, mahnte der Geflügelte hastig. »Kein Wort! Du weißt doch, dass nur die Eingeweihten mich sehen und hören können. Für diese Frau dagegen …« – er deutete auf die Schwester in der Anmeldung – »… existiere ich überhaupt nicht! Für sie redest du mit einem Nichts, was sonst nur Verrückte tun.«
Ja, klar – dass sie daran nicht gedacht hatte!
Der Wolkentänzer zeigte auf den MP3-Player, der deutlich sichtbar aus Lauras Brusttasche ragte. Das Kabel mit den Ohrhörern baumelte davor herum. »So etwas hat Frau Schiller bis zum heutigen Zeitpunkt ebenso wenig gesehen, wie sie je von einer Mail gehört hat. Du musst dich also nicht wundern, wenn sie etwas verwirrt ist.«
Laura griff sich an die Stirn. Ich
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