Lauras Liebhaber
Termin. Ein Stammkunde hat mir eine E-Mail geschrieben. Er will mir für zwei Stunden heute Abend das Doppelte zahlen. Da sag ich natürlich nicht nein. Erst wollte ich euch fragen, aber jetzt, wo ich weiß, dass ihr schon etwas vorhabt …«
Sie duckte sich lachend vor dem Sofakissen, das Robert nach ihr warf.
»Ach, Laura, ich entschuldige mich jetzt schon für meine Familie«, sagte er, »sie ist fürchterlich langweilig und findet mich merkwürdig. Und mein Bruder baggert alles an, was nicht bei drei auf einem Baum ist.«
Laura versuchte, ihn aufzuheitern. »Hey, wenigstens gibt’s ein warmes Essen umsonst.«
Die Stimmen drangen schon aus dem Wohnzimmer zu ihnen herüber, und Laura wartete darauf, dass Robert voranging. Sie hatte etwas Herzklopfen, denn sie wollte einen guten Eindruck bei Roberts Familie hinterlassen. Als sie das Wohnzimmer betraten, verstummten die Gespräche abrupt. Alle sahen sie an. Carol, die ihnen die Haustür geöffnet hatte, schloss die Wohnzimmertür hinter ihnen und stellte sie vor: »Das ist Laura.«
Wie im Chor kam es zurück: »Hallo, Laura.«
Robert räusperte sich und stellte alle der Reihe nach vor. Seinen ältesten Bruder Clark mit seiner Frau Tina und den beiden Kindern Mike und Stephanie, seinen Bruder Scott, seinen Vater Richard und seine Tante Paula.
Robert hatte schon auf der Fahrt hierher von seiner Beziehung zu seiner Familie erzählt und warum er mit wem welche Probleme hatte. So wusste sie, dass Paula die ältere Schwester seines Vaters war, die keine Familie hatte und immer zu Weihnachten mit eingeladen wurde, damit sie nicht allein sein musste. Außerdem hatte sie die Angewohnheit, sich spätestens nach dem Essen mit Eierlikör zu betrinken und fiese Spitzen zu verteilen.
Zu seinen Brüdern hatte er eigentlich fast gar keinen Kontakt bis auf die gelegentlichen Familienfeiern. Mit seiner Schwester Eyleen, die auch in London lebte, kam er ganz gut zurecht, sie trafen sich gelegentlich zum Essen. Weshalb er es auch außerordentlich bedauerte, dass ausgerechnet sie erst am nächsten Tag eintreffen würde.
Robert war erstaunt, wie friedlich das Essen verlief. Seine Familie zeigte sich von ihrer besten Seite und bemühte sich, Laura näher kennenzulernen. Und seine Brüder sparten sich ihre üblichen bissigen Bemerkungen.
Als Roberts Vater fragte, wie sie sich denn kennengelernt hatten, antwortete Laura nur knapp: »Oh, Chloe hat uns einander vorgestellt. Ziemlich unspektakulär.«
Robert nickte nur dankbar – ihr Kennenlernen war sicher nicht von der Art, die seine Familie oder überhaupt irgendjemand gutheißen würde.
Nach dem Dessert gab es noch Kaffee. Dabei erkundigte sich Clark nach Lauras künstlerischem Betätigungsfeld und sagte dann: »Das kann man natürlich nicht mit der Akademie vergleichen, aber Tina nimmt neuerdings auch Zeichenunterricht.«
Seine Frau wurde ein bisschen rot und winkte schnell ab. »Ja, aber ich bin fürchterlich schlecht. Der Lehrer hat schon richtig Mitleid mit mir.«
Alle lachten, und Tina bemühte sich, schnell das Thema zu wechseln.
Laura hatte gerade ihren Cappuccino ausgetrunken, als sie bemerkte, dass Stephanie und Mike sich verlegen neben ihrem Stuhl herumdrückten. »Na, was gibt’s?« Die Geschwister kicherten und wechselten einen schnellen Blick. Schließlich fragte Stephanie: »Laura, spielst du eine Runde Verstecken mit uns?«
»Wenn eure Eltern einverstanden sind, dann gerne.«
Die Kinder jauchzten begeistert, und Laura forderte sie auf, sich schnell zu verstecken, aber nur im Untergeschoss, denn sonst würde sie die Kinder ja niemals finden. Sie fing laut an zu zählen, und die beiden rannten kichernd Hals über Kopf los.
Es war nicht gerade schwer, sie zu finden: Unter der Garderobe hinter langen Mänteln und Jacken waren ihre Füße deutlich zu sehen. Noch verräterischer war nur ihr Gekicher. Laura mochte Kinder und wanderte langsam durch den Flur, während sie laut sagte: »Hm, komisch, ich hätte schwören können, ich hätte gerade was gehört. Wo sind denn nur die Kinder? Ich kann sie gar nicht finden.« Sie ging ein paarmal an der Garderobe vorbei und tat so, als würde sie das Gelächter gar nicht hören. Nach einigen Minuten erlöste sie die immer noch kichernden Kinder aus ihrem Versteck und versprach dann, nach einer kurzen Pause wieder mit ihnen zu spielen. Wohlerzogen, wie die beiden waren, gingen sie wieder zu ihren Eltern, nachdem Laura gesagt hatte, dass sie gleich nachkommen
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