Lauschangriff - Im Visier der Feinde: Thriller (German Edition)
der Grenzschützer zu finden.
Die Sonne erhob sich über dem Ufer des mächtigen Ohio River, als der Cardinal nach seinem Zwischenstopp in Huntington, West Virginia, die letzte Schleife nach Süden in Angriff nahm. Er rollte in Richtung der südlichen Ausläufer der Allegheny Mountains, stoppte um 11.30 Uhr in White Sulphur Springs und steuerte nach der Abfahrt direkt die hohen Hänge der Appalachen in Virginia an.
Ibrahim und Yousaf konnten kaum glauben, dass das alles ein und dasselbe Land war. Und dann kamen sie sich wie in einer Art Wunderland vor, als sie die majestätischen Blue Ridge Mountains überquerten und durch das Shenandoah Valley fuhren, wo einst der Konföderierten-General »Stonewall« Jackson die Armeen der Union fast in den Wahnsinn getrieben hatte.
Hätten Ibrahim und Yousaf auch nur über rudimentäre Kenntnisse der amerikanischen Geschichte verfügt, hätten sie vielleicht eine Wesensverwandtschaft mit dem großen General erkannt, dessen Kampfgeist bis auf den heutigen Tag durch dieses Tal weht. Aber sie hatten keine Ahnung von der amerikanischen Geschichte, und als sie Charlottesville erreichten, die Heimat des Präsidenten Thomas Jefferson, sagte ihnen das genauso wenig. Die Dunkelheit setzte wieder ein, als sie den Bahnhof von Washington verließen, und es war fast 21.30 Uhr, als sie in die Penn Station einliefen.
Ibrahim hatte sie verstohlen darüber informiert, sich mit ihm vor dem Hauptausgang beim Taxistand zu treffen. Er hatte eine Adresse, bei der sie sich melden sollten, dazu eine Telefonnummer. Alle vier waren noch im Besitz ihrer Handys, die sie in Mexiko erhalten hatten und die nun mit einem amerikanischen Netz verbunden waren.
Alle waren ruhig und zufrieden, bis auf Abu Hassan, der aufgrund seiner Physiognomie am meisten auffiel. Seit Alexandria hatte er bemerkt, dass er von einem Mitreisenden angestarrt wurde. Jedes Mal, wenn er aufblickte, wurde er von dem Mann mittleren Alters mit Anzug und Krawatte und angehender Glatze angesehen. Ebenfalls fiel Abu auf, dass der Mann die Washington Post las, auf deren Titelseite Fotos von ihnen abgedruckt waren. Der Palästinenser war den größten Teil seines Lebens auf der Flucht gewesen, vor dem Mossad, vor der israelischen Armee oder den US-Streitkräften. Er witterte Gefahr. Jeder in diesem Land konnte ihn mit einem Handytelefonat verraten. Mehr bedurfte es nicht, damit sie sich alle wieder in Haft befanden.
Abu konnte darüber nicht reden, konnte nicht darauf hinweisen, dass er sich beobachtet glaubte. So senkte er den Kopf und wartete auf den Augenblick, in dem der Typ sich in Bewegung setzen oder das Abteil verlassen würde. Sollte er zu seinem Handy greifen, würde er handeln müssen.
Abu wollte es still und leise erledigen. Doch die gesamte Strecke bis New York las der andere nur die Zeitung und sah hin und wieder zu Abu, der vorgab zu dösen.
Dann kam der Zug aus dem Tunnel und bremste ab, um in die Penn Station einzufahren. Alle stiegen aus. Abu hielt sich auf dem Bahnsteig 20 Meter hinter dem Mann. Nach dessen Verhalten zu schließen, hatte er es hier nicht mit einem Undercover-Polizisten zu tun, sondern nur mit einem aufmerksamen, besorgten Bürger.
Sie fuhren die Rolltreppe hinauf. Abu sah, wie der andere auf die Herrentoilette zuging, die rechts und abseits des Gedränges der zum Ausgang eilenden Fahrgäste lag.
Abgesehen von den Passagieren des Cardinal war auf dem Bahnhof nicht viel los. Die Pendler waren bereits auf dem Heimweg, die Jungen hingen in den Bars herum, und das gehobene Publikum saß in Restaurants beim Abendessen.
Der Mann betrat die völlig verlassene Herrentoilette, zog sein Handy aus der Tasche und öffnete die Tür zu einer der Kabinen. Abu beobachtete ihn von der Ecke aus, sah, wie die Tür geschlossen wurde und hörte das Klacken des Schlosses.
Nach außen hin war Abu unbewaffnet. Aber keiner wusste, noch nicht einmal seine Gefährten, dass er noch immer die Handgranate bei sich hatte, die er in seinen Aktenkoffer hatte gleiten lassen und unter immensen Risiken durch drei Viertel der USA transportiert hatte.
Abu holte jetzt die schwere, runde Granate aus dem Koffer, riss den Stift heraus, bückte sich und verpasste ihr einen Stoß, sodass sie unüberhörbar durch die erste und dann durch weitere vier Kabinen rollte. Keiner achtete darauf, außer vielleicht der Mann, der über sein Handy die Polizei anrief.
Abu wandte sich um und eilte mit gleichmäßigen Schritten zur Menge, die auf den
Weitere Kostenlose Bücher