Lauter Bräute
munter auf mich ein, während wir hinauffuhren in den fünften Stock. Sie hatte vor
— endlich — im Herbst zu heiraten, und ich hatte versprochen, ihr mit dem Brautkleid und dem nötigen Drum und Dran behilflich zu sein. Sie fieberte ihrem Hochzeitstag buchstäblich entgegen — durchaus verständlich, finde ich, denn abgesehen von allem anderen gehört es nicht eben zu den aufregendsten Berufen, Fahrstuhlführerin in einem Warenhaus der Fifth Avenue zu sein. Aus dem Aufzug gestiegen, ging ich durch das Dämmer der Abteilungen Morgenröcke, Miederwaren, Schuhe, Modehüte, meinem eigenen Stützpunkt, Abteilung 509, entgegen.
Die Abteilung Brautausstattungen ist etwas Besonderes — ohne daß ich recht erklären könnte, warum. Die Mehrzahl der Dekorationen in einem großen Kaufhaus ist, aus der Nähe besehen, recht billiger Schund. Das liegt in der Natur der Kaufhäuser und kann gar nicht anders sein. Solche Dekorationen sind nicht für die Dauer gedacht und werden meist eilig über Nacht oder während des Wochenendes angebracht.
Nicht so in Brautausstattungen, genauer gesagt im Foyer. Das ist Fellowes Prachtstück, Stolz des Hauses. Man tritt durch einen hohen Bogen aus weißlackiertem Schmiedeeisen. Drinnen steht rechter Hand eine Modepuppe in einem unserer prächtigsten Kleidermodelle; links der Schreibtisch der Empfangsdame, darauf eine Vase mit frischen Blumen. Blumen sind ein wichtiger Bestandteil der Dekoration; sie werden jeden Morgen erneuert. Das Foyer selbst ist zwar groß wie ein Saal, doch es besitzt eine so luftige, leichte Atmosphäre, daß sich niemand durch die Geräumigkeit bedrückt oder eingeschüchtert fühlt. Der Fußboden ist mit einem mattgrünen Teppich ausgelegt; die Wände sind eierschalenfarben; und Mobiliar gibt es zur Genüge — lange, grüne Sofas, weiß-goldene Sessel, antike Glastische und zu den Sesseln passende, kleine weiß-goldene Beisetztischchen. Der größte Tisch steht in der Mitte, ein massives Kunstwerk mit einer Spiegelplatte. Darauf prangt unser üppigstes Blumenarrangement, und direkt darüber hängt unser Kronleuchter, ein Riesending, fast eineinhalb Meter breit. Er sieht aus wie ein umgekehrtes Glasbukett. Die Möbel stehen nicht im Wege. Die Bräute können herauskommen, sich in ihren Roben ungehindert bewegen und sich ihren bewundernden Familien zeigen; sie können sich selbst in den beiden mächtigen Spiegeln begutachten, die fast eine ganze Wand einnehmen; außerdem kann man ihnen hier draußen zeigen, wie sie zu gehen haben. Das ist ungleich komplizierter, als es sich anhört, denn in einem Brautkleid schreitet es sich anders als in jedem anderen Kleid. Die Robe muß bei jedem Schritt vorn mit der Fußspitze leicht angehoben werden, sonst kann es passieren, daß die Braut auf den Saum tritt, vornüber fällt und sich das Genick bricht — ein nicht eben erstrebenswerter und würdiger Abschluß für den wichtigsten Tag im Leben eines Mädchens.
An diesem Morgen mußte natürlich alles anders sein als sonst; in der Sekunde, als ich in das leere, schwach erleuchtete Brautfoyer trat, begann das Telefon im Empfang zu läuten.
So früh am Morgen hatte es dazu nicht das geringste Recht. Gespräche werden in den Salon erst durchgestellt, nachdem Fellowes um halb zehn seine Pforten für das Publikum geöffnet hat. Ich nahm den Hörer auf und sagte ein ziemlich reserviertes >Hallo<; Kay Enson, die Leiterin der Telefonzentrale, antwortete: »Oh, Gott sei Dank, daß Sie da sind, Miß Evans. Ich habe ein Gespräch aus Paris in der Leitung.«
»Von wem, Kay?« fragte ich.
»Sie wollte es nicht sagen. Sie bestand darauf, mit der Abteilungsleitung von Brautausstattungen zu sprechen. Bitte, bleiben Sie am Apparat, ich stelle die Dame durch.«
Gleich darauf eine scharfe Frauenstimme: »Wer ist da?«
»Miß Evans.«
»Miß Evans von Brautausstattungen?«
»Ja.«
Die Schärfe der Stimme verlor sich. Sie klang jetzt erleichtert, beinahe vergnügt. »Hallo, Miß Evans. Hier ist Lorinda Lorraine.«
Ich war überrascht. »Nanu, Miß Lorraine! Ich hatte keine Ahnung, daß Sie nicht in New York sind.«
»Ja, ich bin gestern herübergeflogen, um meinen Verlobten zu treffen.«
Einen kurzen Augenblick verschlug es mir die Rede. Warum, fragte ich mich, flog sie nach Paris, um ihren Verlobten zu sehen, obwohl sie ihn in einer Woche in ihrer eigenen, kleinen Kirche hier heiraten würde. Noch vor zwei Tagen hatte ich hier im Foyer mit ihr geplaudert, als sie zur letzten Anprobe
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