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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharp
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unterscheiden. Falls er überhaupt in irgendeiner Weise musikalisch begabt ist … nun ja, dann sollte er vielleicht lieber beim Trommeln bleiben.«
    Obgleich die musikalische Karriere ihres Sohnes eindeutig einen Knick bekommen hatte, hielt Mrs. Wiley trotzdem hartnäckig an ihrem Glauben fest, dass der frisch gewandelte Esmond von Natur aus künstlerisch veranlagt sei. Nachdem er sich jedoch in der Toilette im Erdgeschoss mit einem wasserfesten Filzstift ausgelebt hatte, kamen selbst ihr einige Bedenken, ob er wirklich Kunstmaler werden sollte. Mr. Wileys Bedenken waren mehr als schwerwiegend.
    »Ich lasse doch das Haus nicht verschandeln, nur weil du glaubst, er ist der wiederauferstandene Picasso. Und was das kosten wird … wenn ich bloß an die Renovierungskosten denke! Auf ein paar Hundert Pfund wird es kommen, das auszubessern, dank des verdammten Filzstifts!«
    »Esmond hat bestimmt nicht gewusst, dass die Farbe derart tief in den Putz eindringt.«
    Doch Mr. Wiley ließ sich nicht beschwichtigen.
    »Sieben Schichten Wandfarbe, und man sieht es immer noch durch. Und wo hat er eigentlich je das Dingsda von einer Frau so zu Gesicht gekriegt? Das möchte ich doch mal wissen.«
    Mrs. Wiley zog es vor, das nicht so zu sehen.
    »Wir wissen doch gar nicht, ob es das … das war, was du denkst«, wandte sie ein und stellte ihm eine Falle. »Das ist doch bloß deine schmutzige Fantasie. Ich habe das nicht als Teil von irgendjemandes Anatomie gesehen; ich habe es als rein abstrakte Zeichnung betrachtet, Linien und Umrisse und Form und …«
    »Umrisse und Form von was?«, verlangte ihr Mann zu wissen. »Also, ich sage dir mal, als was Mrs. Lumsden es gesehen hat. Sie …«
    »Ich will’s nicht hören. Das höre ich mir nicht an!«, wehrte Mrs. Wiley ab und sah dann eine Gelegenheit zum Gegenangriff. »Und woher weißt du überhaupt, was sie gesehen hat? Willst du damit sagen, Mrs. Lumsden hat dir erzählt, sie hätte gedacht, das wäre eine …«
    »Mr. Lumsden hat es mir erzählt«, sagte Mr. Wiley, als seine Frau knirschend knapp vor dem Unaussprechlichen haltmachte. »Er ist in die Bank gekommen, damit wir seinen Dispokredit verlängern, und hat ganz zufällig erwähnt, dass seine verdammte Frau doch sehr überrascht gewesen wäre, die Zeichnung eines weiblichen Geschlechtsteils an unserer Toilettenwand zu erblicken, als sie dich neulich Vormittag auf einen Kaffee besucht hat.«
    »Oh nein, das ist doch gar nicht möglich. Da war das doch schon überstrichen worden.«
    »Stimmt. Zweimal, aber es kam immer noch durch. Mrs. Lumsden hat ihrem Mann erzählt, das Ding sei richtig gewachsen, während sie da gesessen hat.«
    »Das glaube ich nicht. Wie soll so was denn wachsen? Zeichnungen wachsen doch nicht. Die hat sich das doch alles nur ausgedacht.«
    Horace Wiley meinte, darum ginge es ja wohl nicht. Es ginge darum, dass Mrs. Lumsden gesehen hatte, wie das … das verdammte Ding gewachsen sei … na schön, nicht gewachsen, sondern durch die Farbschichten durchgeschimmert wäre, während sie dort saß. Und dieser Halunke Lumsden versuchte dann doch tatsächlich, seinen Dispokredit zu verlängern, indem er frecherweise damit gedroht hatte, publik zu machen, dass die Wileys, oder genauer gesagt Horace Wiley Vulvas – jawohl, zum Teufel mit Dingsdas und Geschlechtsteilen, nennen wir das Kind beim Namen – an seine Toilettenwand malt, und wenn das so sei …
    »Das wirst du doch nicht zulassen? So etwas darf er doch unmöglich behaupten …«, quiekte Mrs. Wiley.
    Horace Wiley schien seine Frau zum allerersten und – möglicherweise – zum allerletzten Mal anzusehen.
    »Ich habe natürlich alles abgestritten«, sagte er langsam und hielt inne. »Ich habe ihm gesagt, er soll verdammt noch mal kommen und selber nachsehen, wenn er mir nicht glaubt. Deswegen kommen ja morgen die Maurer, um den ganzen Schaden zu beheben.«
    »Den ganzen Schaden? Was denn noch?«
    »Den Schaden, den ein Liter Domestos, ein Hammer und eine Lötlampe angerichtet haben, für die ich fünfundzwanzig Pfund bezahlt habe. Und wenn du mir nicht glaubst, geh doch selbst nachschauen.«
    Mrs. Wiley war bereits unterwegs, und an dem Schweigen, das sich anschloss, erkannte Horace Wiley, dass ihm zum ersten Mal in ihrem gemeinsamen Eheleben das scheinbar Unmögliche geglückt war. Sie war sprachlos, und die Frage, ob Esmond weiterer künstlerischer Förderung bedürfe, war ein für alle Mal vom Tisch.
    Mrs. Wiley hatte jetzt andere Dinge im Kopf, und

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