Lauter reizende Menschen
sahen genau so aus wie die Kriminalbeamten, die man im Kino sieht!«
»Dann waren es vermutlich keine«, wandte Annabel nüchtern ein. »Kriminalbeamte fahren nicht durch die Gegend und sehen dabei wie ihresgleichen aus. Eine Ausnahme machte allerdings Inspektor Wright: Er sah genau so aus!«
Lucia stieß nicht nach. Sie erinnerte sich an Wrights Namen von dem Mordfall her, in dem Jim vor einem Jahr so geglänzt hatte, und sie wußte, wie zuwider Annabel jedes Wort über diese schreckliche Angelegenheit war. Neuerdings war sie häufig mit der neuen Freundin zusammen, denn das Lager lag in ihrer Nähe, und die beiden jungen Frauen fanden in der gegenseitigen Freundschaft etwas, was ihnen sonst unter den gegenwärtigen Lebensumständen gefehlt hätte.
»Vermutlich«, meinte sie ausweichend, »ist die Polizei wegen des möglichen Versicherungsfalles interessiert. Verheiratet war Davis doch wohl nicht?«
»Ich bin ziemlich sicher, daß er es nicht war, obwohl niemand über seine Verhältnisse genau Bescheid weiß. Das ist doppelt komisch, weil er immerhin seit fünf oder sechs Jahren hier wohnt und die hiesigen Einheimischen insgesamt recht mitteilsam sind. Aber er zeigte allen die kalte Schulter. Geld hat er offenbar gehabt, denn der Wagen, den er hatte, ging über die Verhältnisse eines Postboten. Deshalb hat er ihn bestimmt mitsamt der Garage versichert.«
Bald kamen sie auf andere, erfreulichere Dinge zu sprechen, und schließlich verabredeten sie, demnächst in Lucias Wagen hinauf zu den Stallungen zu fahren. »Jim ist geradezu verschossen in den schrecklichen >Raubritter<. Fast mache ich mir Sorgen um ihn, obwohl das Tier zu Jim ausgesprochen gutartig zu sein scheint. Aber man weiß nie, was in einem solchen Gaul steckt, und Jim ist oben ganz allein. Falls er einen Tritt abbekäme, würde es so bald niemand merken.«
»Telefon hat er doch wohl?«
»Gewiß. Von Nigels Haus auf dem Lagerplatz aus kann ich ihn anrufen; ich tue es fast jeden Abend. Und dennoch...«
»Außerdem fährt doch Len allmorgendlich hinauf. Bestimmt gibt Jim gut acht, und außerdem ist das Pferd, wie Len mir versichert hat, Jim gegenüber lammfromm.«
»Was macht denn Lens Wetterei?«
»Gewonnen hat er, seit ich da bin, noch nichts; aber er schwört, daß er diesmal Erfolg haben wird — weil Onkel Peters Operation so gut verlaufen ist. In seinem Toto-Heft fand Len nämlich ein Pferd namens >Chirurg<, und nun ist er überzeugt davon, daß es überhaupt nicht schiefgehen kann!«
»Und die zweite Wette?«
»Es läuft noch ein Pferd mit Namen >Detektiv<, und da meinte er natürlich, ebenfalls einen Wink des Himmels zu erkennen. Er ist ganz aus dem Häuschen, weil sich in unserer friedlichen Gegend ein ausgewachsener Kriminalfall zu entwickeln scheint.«
Als Lucia am folgenden Morgen beim Spülen einen Blick aus dem Fenster warf, sah sie bei der Pumpe einen fremden Wagen, dessen Fahrer ungeduldig auf und ab lief. Sollte Len tatsächlich einmal nicht pünktlich zum Dienst erschienen sein? Eilig lief das Mädchen hinunter, stammelte eine Entschuldigung und sah sich suchend nach dem Jungen um. Und schon entdeckte sie ihn: Er stand im Büro, kehrte dem Fenster den Rücken und führte ein angeregtes Ferngespräch.
Vielleicht hatte er einen Augenblick, an dem kein Kunde da war, zu einem schnellen Anruf bei dem Freund benutzt, der die Wetten für ihn abschloß. Mit der Verbindung schien es nicht recht zu klappen, denn plötzlich hörte sie ihn schreien: »Hallo, Sie haben mich getrennt! Verbinden Sie mich sofort wieder. Und berechnen Sie das Gespräch ja nicht doppelt!«
Den ungeduldigen Kunden schien er überhaupt nicht bemerkt zu haben. Mit entschuldigendem Lächeln schaute Lucia den Fremden an. »Verzeihung! Len hat Sie offenbar nicht gesehen. Er gibt telefonisch seine Toto-Tips durch — er ist nämlich ganz versessen aufs Pferderennen!«
»So? Ich wußte gar nicht, daß der Betrieb hier mit Pferden zu tun hat; dummerweise hielt ich ihn nämlich für eine Tankstelle. Aber das scheint ein Irrtum gewesen zu sein.«
Lucias Lächeln gefror. Was für ein unfreundlicher, ironischer Kerl! Wenn man ihn recht betrachtete, machte er einen äußerst unangenehmen Eindruck, hochgewachsen, hager, mit einem unbewegten Gesicht, das, davon war Lucia überzeugt, von eisig verschlossenem, zugeknöpftem Charakter zeugte. Dabei sah es nicht einmal häßlich aus, aber die Augen waren kalt und hart, und um den Mund zogen sich scharfe Linien. >Vermutlich
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