Lauter reizende Menschen
aller Frühe fahre ich wieder fort, um die Augen anderswo aufzuhalten. Ross ist einer meiner besten Leute, dem so bald nichts entgeht.« Er tätschelte Rosies Kopf. »Ein braver Hund. Keineswegs so dumm, wie er tut. Mit zwei so tüchtigen Leibwächtern brauchen Sie sich wirklich keine Sorge zu machen — ganz abgesehen von dem Kriminalbeamten, der immer wieder einmal nach dem Rechten sieht.« Mit diesem gutmütigen Stich verabschiedete er sich endgültig.
Lucia ließ sich in ihren Sessel sinken. Die Gedanken wirbelten ihr im Kopf herum. Trotz Wrights gegenteiliger Zusicherung war sie felsenfest davon überzeugt, daß er persönlich den Täter unter den Einheimischen vermutete. >Was für ein Leben hat Davis hier geführt?< Was hatte er damit sagen wollen? Was für ein Leben konnte ein Briefträger schon führen? Wie es hieß, hatte er mit niemandem im Streit gelegen. Gewiß hatte niemand ihn gern gehabt, aber nichts deutete darauf hin, daß jemand ihn gehaßt hatte. Und wie heftig mußte man jemanden hassen, ehe man ihn ohnmächtig schlug und dann kaltblütig ein Feuer legte, um ihn zu verbrennen!
Dennoch mußte Lucia dem Inspektor recht geben: In einem Falle wie diesem durfte man keine Möglichkeit ausschließen. Es war dumm von ihr gewesen, ihm zu zeigen, wie sehr sie sich über Ross’ Versteckspiel geärgert hatte. Es war ebenso dumm, nicht von selbst darauf zu kommen, daß etwas hinter dem wiederholten, unvermuteten Auftauchen, dem zufälligen Zusammentreffen und hinter dem freundschaftlichen Verhältnis steckte, das sich nach dem gemeinsamen Besuch der Stallungen entwickelt hatte! Natürlich hatte Ross weisungsgemäß versucht, sich mit allen Leuten gut zu stellen und sie dadurch aufzufordern, mit der Sprache herauszurücken.
Warum aber war sie darüber so empört? Empört und... ja, hätte sie Leute, die sich leicht beleidigt fühlen, nicht stets widerlich gefunden, so hätte sie zugegeben, daß sie sich im vorliegenden Falle selbst gekränkt fühlte! Aber Lucia machte sich dies kaum klar und wurde wütender denn je! Sie sprang aus ihrem Sessel hoch und schaute Rosie ganz ungerecht grollend an, bloß weil sie so seelenruhig auf einem Kissen lag, das auf den Boden gerutscht war.
Ihre Gedanken wandten sich jenem Abend am Seeufer zu, und wieder hörte sie den leicht neckenden Ton in Ross’ Stimme. Geradezu zynisch hatte er von dem Mord erzählt, von der möglichen Rückkehr des Mörders, von den Auswirkungen des gräßlichen Vorfalls auf die gesamte Nachbarschaft. Hatte er wohl während dieser Worte gespannt beobachtet, wie sich seine Zuhörer dazu verhielten? Hatte er etwa die Frage klären wollen, ob George oder Nigel irgendwie in den schrecklichen Fall verwickelt waren?
Plötzlich mußte Lucia laut auflachen. Diese beiden harmlosen Zeitgenossen! George, ganz eingenommen von seinem komischen Steckenpferd — und Nigel mit unbefangen lachendem Gesicht, den abenteuerlichen Flügen in der kleinen Maschine, mit seiner eisernen Entschlossenheit, das Lager so weit zu bringen, daß es sich rentierte! Nein, nicht einmal Ross würde irgend etwas Düsteres, Hinterhältiges an den beiden finden können!
Nachdem somit die Inhaber des Ferienlagers reingewaschen waren, nahm Lucia sich die Männer im Montagelager vor. Zweifellos hatten sie besonders günstige Voraussetzungen, einen Mord zu begehen: Jeder einzelne Lagerbewohner konnte sich im Schutze der vollkommenen Finsternis nach dem Erdbeben davongestohlen haben, zur Garage gelaufen sein und Davis, der sich — allein, nichtsahnend und ungeschützt — über seinen Wagen beugte, umgebracht haben.
Doch halt! Wie hätte er ahnen können, daß Davis in der Garage sein würde? Und welches Motiv zum Mord war ihm zuzutrauen? Das Lager war erst vor wenigen Monaten auf der Hochebene eingerichtet worden. Und die Bewohner waren, soweit Lucia wußte, sämtlich von auswärts. Fast alle hatte Lucia inzwischen an der Tankstelle kennengelernt, und alle machten den denkbar besten Eindruck. Michael Kelly, der Vormann, ein kräftiger, gutaussehender Dreißiger mit starkem irischem Akzent, ein Mensch von einnehmender Freundlichkeit — er war eigens gekommen, um Lucia zu begrüßen, und schon mehrmals hatte er sich mit merklicher Anteilnahme nach Onkel Peter erkundigt. Und die andern Monteure waren nicht weniger nett als er, fleißig, schwerer Arbeit ebensowenig abgeneigt wie gelegentlich deftigem Trunk und riskantem Spiel, und insgesamt bestimmt anständig und ordentlich. Nein,
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