Lauter reizende Menschen
ausgesprochen ruhiger Nachmittag, und nur ein paar Wagen vom Montagelager kamen tanken und zwei Busse. Nein, ich bin ganz sicher, daß nichts Außergewöhnliches los war — nichts, was einem hätte auffallen können.«
Seinem kurzen Seufzer entnahm Lucia, daß er voller Bedauern die große Gelegenheit, ein gewichtiger Zeuge zu sein, dahinschwinden sah. Wright winkte beruhigend ab. »Nun, immerhin bestand eine Möglichkeit — wenngleich eine schwache. Und später ist Ihnen ebenfalls nichts aufgefallen?«
Plötzlich richtete Len sich ganz auf, und seine Augen glühten vor Erregung und Eifer. »Doch, ja, später ist mir jemand aufgefallen! Luce kann es bestätigen: Auf einmal tauchte ein Kerl auf, Philipp Ross heißt er, und er huschte auf leisen Sohlen daher und tat mächtig geheimnisvoll. Er kaufte sich eine ganze Packung Zigaretten — und behauptete schon eine halbe Stunde später, er habe keine mehr. Er benahm sich wirklich komisch, nicht wahr, Luce?«
Lucia nickte zerstreut, während sie Wright scharf beobachtete und das Zucken seiner Mundwinkel bemerkte. In diesem Augenblick dämmerte ihr etwas, etwas ganz Verrücktes, es drängte sich ihr buchstäblich auf... und Flammen des Zornes sprangen ihr in die Augen. Das also hatte hinter ihm gesteckt! Und dabei hatte er sich so liebenswürdig gestellt, so nett und freundschaftlich. Aber sie schluckte ihre Empörung herunter und hörte schweigend zu, wie Wright Lens Beobachtung leichthin abtat und geschickt zu den Ereignissen während der Mordnacht zurücklenkte. War Len wie üblich zu Bett gegangen? Und hatte auch ihn das Erdbeben geweckt?
Wieder gewann Lucia den Eindruck, daß der junge Mann betreten dreinsah; aber zungenfertig erwiderte er: »Gespürt habe ich es wohl; aber ich kümmerte mich nicht darum.«
»Sie standen also nicht auf, um aus dem Fenster zu schauen, wie Miss Field?«
Nur ganz kurz war die Pause. »Nein. Ich hatte keine Angst. Ein Erdbeben ist hier keine Seltenheit.«
Fiel Len in seiner Unbefangenheit denn gar nicht auf, daß Wright sein Alibi auf die Probe stellte? Nun, endlich schien der Inspektor weiteres Bohren für sinnlos zu halten, denn er wünschte Len eine gute Nacht. Nur noch eines gab er ihm mit auf den Weg: »Übrigens brauchen Sie vor diesem Philipp Ross keine Angst zu haben. Ich kenne ihn nämlich sehr gut: Gewiß hat er seine Mucken — aber ein Verbrecher ist er ganz bestimmt nicht!« Wieder zuckte es um seine festen Lippen. Während Len sich mit höflicher Verbeugung verabschiedete, sah man ihm an, wie enttäuscht er darüber war, daß sein Hinweis offenbar ohne allen Belang war. Dann zog er sich zurück — vermutlich, wie Lucia sich vorstellen konnte, um sich in seinem Zimmer in die >Toto-Post< zu vertiefen und das soeben durchstandene Verhör in Tips umzumünzen.
Wright erhob sich, aber noch eine Frage mußte Lucia ihm stellen: »Sagen Sie, Inspektor, muß die Polizei eigentlich immer so... schnüffeln und heucheln? Ich meine... müssen Kriminalbeamte sich an die Leute heranmachen, sich freundlich stellen, um ihnen Fallen zu stellen und sie zum Reden zu bringen? Müssen sie liebenswürdig tun wie Mr. Ross und dabei doch ständig... ständig...« Sie unterbrach sich, wütend darüber, daß ihre Stimme etwas zitterte.
»Weiter, Miss Field!« Ganz fest schaute er sie an, aber seine Stimme klang gütig.
»Müssen sie schnüffeln, ausfragen, spionieren... müssen sie die Leute hintergehen, die gerade anfangen, ihnen Vertrauen zu schenken und sie für... aufrichtig zu halten?«
Eine lange Weile sagte Wright nichts. Dann aber schaute er sie ernst an. »Die Polizei muß manche unangenehme Aufgabe auf sich nehmen, Miss Field«, meinte er bedächtig. »Ganz besonders, wenn es um Mord geht. Ein Leben ist ausgelöscht — andere schweben vielleicht in Gefahr! Wollen Sie es uns da verargen, daß wir nach jedem Strohhalm greifen?«
Lucias Empörung brach zusammen, und ihre Stimme wurde sanft. »Warum aber konnte Mr. Ross nicht ganz offen sagen, daß... Natürlich hätte ich es für mich behalten; und daß ich in den Fall verwickelt sei, konnte er wohl nicht gut annehmen! Sollte ich etwa in meiner ersten Nacht herumstreichen und Davis umbringen?«
Wright lächelte. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß Ross Sie auch nur im entferntesten verdächtigt hat. Aber ich hatte ihm nun einmal den Auftrag erteilt, hier als Jäger aufzutreten. Übrigens hat er ein paar ganz ansehnliche Stücke Wild erlegt! Aber seine eigentliche Aufgabe war
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