Lauter reizende Menschen
Lucia ein wenig betreten. Sie schaute zu Annabel, die neben der Vase stand und sich lächelnd mit Nigel Howard unterhielt. Eine wirklich reizende junge Frau! Jeder würde es gern darauf anlegen, ihr eine Freude zu machen! Ihr Blick wanderte weiter — und fing im gegenüberliegenden Spiegel ihr eigenes Bild ein. Betrübt betrachtete sie es: ein ovales Gesichtchen mit grauen Augen, ganz gut geschnitten, aber gewiß nicht strahlend schön.
»Ich finde es reizend!« versicherte ihr Ross ganz plötzlich, und sie zuckte zusammen, wütend, weil er sie ertappt hatte! »Dunkel, schlank, grauäugig — reicht Ihnen das denn nicht?«
»Sie haben mich beobachtet und meine Gedanken gelesen! Finden Sie das etwa nett? Aber abgesehen davon: Im Vergleich mit ihr kommt man sich richtig armselig vor.« Sie nickte zu Annabel hinüber.
Gelassen schaute er von einer zur andern, und sehr lange erwiderte er nichts. Endlich meinte er nur: »Jeder hat halt seinen eigenen Geschmack!« Dann ging er eilig, ihr ein Glas Sherry zu holen.
Lucia wußte selbst nicht, warum sie sich plötzlich so wohl fühlte.
Alle Leute waren lieb und nett; der Abend versprach gemütlich zu werden... Aber schon brach eine neue Woge der Selbstkritik über sie herein. Wie konnte sie sich von diesem Mann, der sie soeben noch in tiefste Verlegenheit gesetzt hatte, so ganz einfach in den siebenten Himmel entrücken lassen? Hastig drängte sie sich an George Owens’ Seite und verwickelte ihn in ein tiefgründiges Gespräch über Angelfliegen — ein Thema, von dem sie nichts verstand und das sie nicht im geringsten interessierte.
Nach einer Weile gab es eine Unterbrechung: Michael Kelly, der Vormann aus dem Montagelager, schneite herein. Allgemein wurde er herzlich begrüßt, und Jim forderte ihn auf, doch hereinzukommen. »Sie kommen gerade recht: Wir haben noch genug zu trinken!«
Aber der hübsche Ire schüttelte den Kopf. »Ich wollte nur mit Nigel sprechen und möchte Sie nicht stören. Außerdem ist meine Frau im Wagen... Sie kommt mich für zwei Tage oben im Lager besuchen.«
»Dann bringen Sie doch Ihre Frau mit herein!« rief Annabel fröhlich. »Ich würde sie gern kennenlernen.«
Kelly strahlte übers ganze Gesicht, aber er zauderte noch immer. »Wir möchten Ihnen wirklich nicht zur Last fallen, Mrs. Middleton!«
»Aber ohne Sie wäre die Party nicht vollständig!« versicherte ihm Annabel munter, und schon lief sie zum Wagen hinaus. Bald kehrte sie zurück, begleitet von einer zurückhaltenden, hübschen braunäugigen Frau von durchsichtiger Zartheit. In einer Mischung von Stolz und Fürsorge trat Kelly neben sie, und als er sie zu den einzelnen Gästen führte und sie vorstellte, bemerkte Lucia, daß sie hinkte; und dann erkannte sie auch die Bandage am rechten Bein. Moll Kelly war, wie sie später erfahren sollte, in frühen Jahren von der Kinderlähmung befallen worden und war seitdem leicht verkrüppelt.
»Und das ist Lucia Field!« stellte Annabel soeben vor. »Die Inhaberin der Tankstelle, bei der Ihr Mann und seine Kollegen das Benzin kaufen. Mr. Kelly, Sie kennen Lucia wohl schon?«
»Allerdings! Wer sollte eine so ansehnliche Persönlichkeit nicht kennen?« Aller Charme seines irischen Lächelns galt Lucia, und beeindruckt dachte sie: >Der sieht aber gut aus! — Und er scheint es zu wissen!< Dennoch fand sie sein Lächeln unwiderstehlich und war bald in eine muntere Unterhaltung mit dem Vormann verstrickt. Er hatte, wie er mitteilte, Nigel fragen wollen, ob er ihm wohl ein paar Bungalows vermieten könne.
»Unser Lager wird demnächst abgebaut, und bevor wir weiterziehen, möchten wir gern bei Ihnen ein paar Tage Urlaub machen. Die Männer werden Ihnen sicherlich keinen Ärger bereiten, Nigel: Sie sind ausnahmslos anständige, nette Burschen!«
»In Ordnung«, nickte Nigel bereitwillig. »Ihr seid uns alle herzlich willkommen! Über Platznot werden wir hier ohnehin während der nächsten Wochen nicht zu klagen haben. Während der Saison allerdings...« Lachend gab er ein paar Erlebnisse aus der Zeit zum besten, zu der alle Hütten und Zeltplätze belegt waren, und anschaulich beschrieb er, welche Last er zuweilen mit ängstlichen und luftkranken Passagieren in seiner Maschine hatte.
»Während der Saison sind Sie sicherlich viel unterwegs?« warf Kelly ein. »Jetzt allerdings fliegen Sie, wie ich merke, nur selten. Vorgestern waren Sie mal ausnahmsweise in Forest Harbour, nicht wahr?«
Nigel nickte unbefangen. »Ich mußte auf einen
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