Lautlos
alles.
Schließlich hatte der Slawe die Halle verlassen, woraufhin die Frau in einem angrenzenden Raum verschwunden war. Kuhn schätzte, dass sie dort arbeitete oder ruhte. Für die Dauer der nächsten Stunden hatte er nichts von ihr gehört oder gesehen. Natürlich konnte es ebenso gut sein, dass sie ihn beobachtete. Im fahlen Schein der Neonleuchten hatte Kuhns Blick die Halle erwandert und dicht unter der Decke etwas von der Größe einer Kamera ausgemacht. Bei genauem Hinsehen mutete es eher wie ein kurzes Fernrohr oder Teleobjektiv mit einer transparenten Glasplatte an, die unmittelbar vor der Linse befestigt war. Er hatte keinerlei Vorstellung davon, wozu das Ding diente, und wollte es auch nicht wissen. Zutiefst deprimiert war er in sitzende Position gerutscht und hatte versucht, seine Angst mit Schlaf zu betäuben.
Zu mehr als einem nervösen Schlummer, durchsetzt von alptraumhaften Bildern, hatte es nicht gereicht. Danach fühlte er einen dumpfen Kopfschmerz und leichte Übelkeit. Er wusste, dass die Übelkeit von der Angst herrührte. Er wusste wie immer eine ganze Menge, nur nicht, wie man die Zeit zurückdrehen konnte bis zu der Stunde, da er an der Bar des Maritim gesessen und mit sich gerungen hatte, ob er zu Paddy Clohessy fahren oder doch lieber ins Bett gehen sollte.
Die Frau stellte den Stuhl verkehrt herum vor Kuhn hin.
Dann nahm sie darauf Platz, verschränkte die Arme über der Rückenlehne und musterte den Lektor. Erst jetzt fiel ihm auf, dass ihre dunklen Augen von eigenartiger Schönheit waren.
»Wie es aussieht, hat sich deine Lage nicht gerade verbessert«, sagte sie leise.
Kuhn bemerkte, dass sie etwas in der Hand hielt. Einen Moment lang schnürte sich ihm die Kehle zu, dann sah er, dass es keine Pistole und auch kein Folterwerkzeug war, sondern ein sehr kleines und flaches Handy.
Langsam ließ er die Luft entweichen.
»Ich habe Ihnen alles gesagt.« Es klang, als habe er monatelang kein Wort gesprochen. Die Frau sah ihn unverwandt an.
»Deine Freunde haben vor wenigen Minuten die Polizeiwache des Flughafens betreten«, sagte sie.
Die Nachricht, frohlockte Kuhn. Sie haben die SMS erhalten!
Oder waren sie nur wegen Paddy dort?
»Du magst denken, es wäre gut für dich, wenn sie die Polizei einschalten«, fuhr sie fort. »Gib dich keinen Illusionen hin. Das Gegenteil ist der Fall. – Aber ich denke, du kannst mir vielleicht verraten, was sie da tun.«
»Ich?« Seine Stimme klang zu schrill. Verdammter Narr! Sie musste annehmen, dass er ihr etwas verschwiegen hatte. »Wieso denn ich?«
»Gestern Nacht haben sie es noch vorgezogen, sich gemeinsam in die Büsche zu schlagen.«
Sie darf nichts von der SMS erfahren, dachte er. Sag ihr nichts davon! Sie würde dich augenblicklich töten.
»Also, was ist?«, forschte die Frau. »Gar keine Idee?«
»Sie wollten ohnehin zu Clohessy«, sagte Kuhn hastig. Ja, das war gut. Es stimmte sogar weitestgehend. »Entweder noch in der Nacht oder heute früh. Sie dachten, wenn sie ihn zu Hause nicht antreffen, dann wahrscheinlich am Flughafen.«
»Ja, aber warum suchen sie ihn bei der Polizei?«
»Vielleicht …« Kuhn stockte. Dann sagte er: »O'Connor war der Ansicht, Paddy könne in etwas Größeres verwickelt sein. Er wollte im Grunde gestern schon zur Polizei. Andererseits wollte er Paddy eine Chance geben, weil sie alte Freunde sind.«
Die Frau stützte das Kinn in die Hände.
»O'Connor meint also tatsächlich, Paddys Anwesenheit am Flughafen könnte etwas mit dem Gipfel zu tun haben?«
Kuhn nickte. Dasselbe hatte sie ihn mindestens schon dreimal gefragt. Sie und der Slawe, immer abwechselnd.
Er fühlte, wie sich die Übelkeit breiig in seiner Kehle zusammenzog.
»Bitte …«
»Ja?«
»Lassen Sie mich leben. Ich werde alles tun, um Ihnen zu helfen, aber töten Sie mich nicht.« Erneut fühlte er, wie Tränen seine Augen füllten. Mühsam kämpfte er sie zurück, aber es gelang ihm nicht, das Zittern aus seiner Stimme herauszuhalten. »Ich … ich möchte nicht sterben, bitte. Ich habe Ihnen doch nichts getan.«
Die Frau hatte den Blick nach innen gerichtet.
Dann erhob sie sich und schüttelte langsam den Kopf.
»Wer sich unter die Oberfläche begibt, tut es auf eigene Gefahr. Das ist in der Liebe so und hier nicht anders. Falls es etwas gibt, das ich wissen sollte …«
Ohne ihn weiter anzusehen, ging sie durch die Halle davon.
LAVALLIER
Die Flughafenverwaltung beherbergte neben dem Personalwesen und der Leitung Technik
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