Lautlos
halt doch eine Nummer zu groß für den unbescholtenen Abteilungsleiter Technik Martin Mahder, dessen Leben bis vor einem halben Jahr noch in beschaulichen Bahnen verlaufen war.
Jana warten. Wenn Jana kam.
WAGNER
Die schlimmsten zwei Stunden ihres Lebens endeten, als sie O'Connor den Hubschrauber verlassen sah. Er wirkte unbeholfen und wackelig auf den Beinen, als er über das Vorfeld zu ihr herüberkam. Seine Hände waren verbunden, sein eleganter Anzug dunkel befleckt von etwas, das Blut sein konnte. Alles in allem kam er ihr vor wie nach drei Runden mit Mike Tyson, aber seine Augen strahlten, als habe er die Gameboy-Meisterschaft gewonnen.
Hinter ihm sprang Lavallier aus dem Helikopter.
»Kika«, sagte O'Connor.
Er schaffte es, einen halben Roman in diese beiden Silben zu legen.
Sie erzählten vom Whiskytrinken in Jameson's Pub, von der Versunkenheit im Halbdunkel eines Hotelzimmers und von fremden Universen im Innern alter Bäume. Sie erklärten jedes Empfinden von Distanz für obsolet. Vor allem aber ließen sie keinen Zweifel daran, dass der Vorhang in diesem Stück so schnell nicht fallen würde. Alles, sagten sie, hat seine Gültigkeit. Erklären wir das Ereignis zum Zustand. Schreiben wir die Geschichte fort.
O'Connor grinste. Sie tauschten einen flüchtigen Kuss. Eine Begrüßung nicht anders als der Abschied am Nachmittag. Es lag etwas Beruhigendes darin, als sei gar nichts Besonderes geschehen. Fortsetzung des Vorangegangenen.
Sie erzählte ihm, wie sich die Polizistin auf seinem Handy gemeldet hatte. O'Connor hob die Brauen.
»Das hat sie mir verschwiegen«, sagte er konsterniert. »Ich hätte natürlich zurückgerufen und die Welt später gerettet.«
»Ich dachte, du seist tot.«
»Ach, Kika! Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, an dich zu denken, um sterben zu können.«
»Du lügst«, sagte sie fröhlich. »Du siehst zum Fürchten aus.«
»Natürlich lüge ich. Lügen sind die Höflichkeit der Liebenden. Oh, die Stimme Amerikas!«
Aaron Silberman hatte sich bis jetzt im Hintergrund gehalten. Nun trat er lächelnd hinzu. O'Connor ergriff seine Rechte, drückte sie und zuckte zusammen.
»Passen Sie auf Ihre Hände auf«, sagte Silberman mit einem skeptischen Blick auf die Mullverbände. »Was haben Sie bloß angestellt, Sie sehen aus wie Boris Karloff am Set von ›Die Mumie‹.«
O'Connor zuckte die Achseln.
»Nichts Außergewöhnliches«, sagte er. »Ich bin beinahe umgebracht worden, durch ein Dach gekracht und in einen Haufen Scherben gefallen. Danach haben Lavallier und ich Bill Clinton ein bisschen unter die Arme gegriffen.«
»Verstehe. Was man so jeden Tag erlebt.«
O'Connor lachte. Sie gingen gemeinsam zum VIP-Zelt hinüber. Nur eine Hand voll Uniformierter war noch dort sowie Bär und ein weiterer PPK-Hauptkommissar aus der Kölner Zentrale, der kurz nach Wagner eingetroffen war und sich die letzte Viertelstunde über im Zelt mit Silberman unterhalten hatte. Die japanischen Diplomaten und Vertreter des Auswärtigen Amts hatten das Gelände sofort verlassen, nachdem Obuchi wohlbehalten seiner 747 entstiegen und abgefahren war. Es war die letzte wichtige Landung an diesem Tag gewesen, wie man ihr erzählt hatte, sah man davon ab, dass man ihr ansonsten gar nichts erzählt hatte. Lavallier kam ihnen in einigem Abstand hinterher. Es war neun Uhr vorbei. Der abgesperrte Pressebereich weiter hinten lag menschenleer da. Umso mehr spielte sich zwischen den Pressezelten und dem Checkpoint ab. Wagner wusste im Wesentlichen nur, dass dort eine ausgedehnte Kontrolle im Gange war und die Journalisten den Bereich einzeln verließen, alle mit erheblicher Verspätung. Hoch oben an der Fassade der Lärmschutzhalle waren Leute in Overalls damit beschäftigt, eine bestimmte Stelle im Gestänge zu untersuchen.
Wagner hätte Silberman küssen können. Die Sperrung der Flughafenautobahn hatte den kompletten Verkehr ringsum lahm gelegt. Als sie Silberman auf seinem Handy erreicht hatte, in Sorge aufgelöst, eingekeilt zwischen zwei Dreißigtonnern und dem definitiven Stillstand entgegenkriechend, hatte Clintons Wagenkolonne den Flughafen eben verlassen. Das Erste, was Silberman ihr am Telefon versichert hatte, war, dass O'Connor lebte und wohlauf sei. Sofort hatte der Stau jeden Schrecken für sie verloren, und plötzlich ging auch alles wieder schneller – die Sperrung war aufgehoben worden, der Verkehr normalisierte sich. Etwa zeitgleich mit der Landung der japanischen 747 hatte Wagner die
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