Lautlos
verschränkt, legte eine beachtenswerte Gelassenheit an den Tag.
Allerdings musste man O'Connor zugestehen, dass er bislang positiv überrascht hatte. Der Mann, der pünktlich um sieben Uhr das Auditorium betrat, wirkte durchaus fähig, seinen Vortrag zu halten. Kuhn erschien neben ihm wie ein Gespenst. Wagner kam es vor, als sei er seit dem Moment, da sie sich im Maritim getrennt hatten, noch blasser geworden. Er zuckte beim Hereinkommen nur die Achseln, wie um zu sagen, unser aller Leben in Gottes Hand. O'Connor hingegen sah blendend aus. Er hatte den Anzug gewechselt, ein gütiges Lächeln mitgebracht und die Zeit im Hotel offenbar zu einer Blitzregeneration genutzt. Nachdem sein Blick jeden der Versammelten einmal gestreift hatte, schmolzen sie dahin. Keiner schien damit gerechnet zu haben, dem möglicherweise schönsten Mann Irlands zu begegnen. O'Connor hätte Shanties gröhlen können, und sie hätten ihn auf Händen getragen.
Seine Darlegung der Methode zur Abbremsung von Licht erfolgte sachlich und profund:
»Ein Photon braucht eine Sekunde, um dreihunderttausend Kilometer zurückzulegen, das wissen Sie. Der Wert ist fix. Natürlich freuen wir uns über das enorme Tempo, denn so können Lichtimpulse ungeheure Informationsmengen mit phantastischen Geschwindigkeiten übermitteln. Nur Dubliner Hausfrauen sind im Stande, Gerüchte noch schneller zu streuen.« Gekicher. »Aber die Sache hat halt einen Haken. Licht kann nicht schneller, aber auch nicht langsamer herumsausen als mit eben diesen dreihunderttausend Sekundenkilometern. Informatiker träumen von optischen Computern, in denen Lichtnachrichten auch ohne Umweg durch elektronische Schaltungen weiterverarbeitet werden, aber Lichtblitze sind flüchtig. Sie lassen sich nicht so ohne weiteres zum Sortieren und Verrechnen einfangen. Das ist in höchstem Maße ärgerlich und unkooperativ, also sind wir darangegangen, dem Licht unseren Willen aufzuzwingen …«
Es ging immer so weiter. Ein paar harmlose Scherze zwischendurch, gelehrter Small Talk. Jeder wusste ohnehin, was O'Connor erzählen würde. Zu Wagners Erstaunen verlor er kein einziges Mal das Gleichgewicht und wies sich durch klare Artikulation aus. Offenbar hatte er in den wenigen Stunden Schlaf – falls er geschlafen hatte – den Alkohol völlig abgebaut. Er saß rittlings auf der Kante des Rednertisches und gestikulierte mit den Händen, als dirigiere er ein unsichtbares Orchester.
Wagner versuchte, dem Vortrag zu folgen. Am Ende hatte sie begriffen, dass es O'Connor gelungen war, Licht tatsächlich für den winzigsten Bruchteil einer Sekunde abzubremsen und zu speichern – nach Lichtmaßstäben eine Ewigkeit. Ungehindert wäre der Lichtimpuls in der Zeit schon zehn Kilometer weitergeeilt. Sie fragte sich, wozu das gut sei. Schieder hätte wahrscheinlich gekontert, um ultraflache Fernseher zu erfinden oder Penicillin. Sie überlegte, ob es für ihre Pressearbeit unabdingbar war, die Aussagen ihrer Autoren bis ins Kleinste zu verstehen, und entschied sich für ein klares Nein.
Neben ihr gewann Kuhn wieder an Farbe.
Dann war der Vortrag zu Ende, und es durften Fragen gestellt werden. Wenige Minuten noch, um auf Fachchinesisch mit Fachchinesisch zu antworten. Wagner entspannte sich. Viel konnte eigentlich nicht mehr passieren.
So jedenfalls hatte sie sich die Sache vorgestellt. Bis diese rosenwangige Studentin mit feuchtem Blick ankündigte, persönlich werden zu wollen!
Kuhn wechselte erneut die Farbe. Ein Chamäleon war nichts gegen ihn. Er richtete den Blick zuerst auf Wagner und dann auf die Studentin. Seine Lippen formten eine stumme Bitte.
Zu spät.
»Dr. O'Connor, Sie haben uns alle hier sehr beeindruckt. Aber dann dachten wir uns, also … ähm … selbst jemand wie Sie muss doch irgendwo einen Schwachpunkt haben. Eine kleine menschliche Schwäche. Also raus mit der Sprache! Was ist Ihr größter Fehler?«
Sie sah ihn keck an und klimperte mit den Augen. O'Connor verbreiterte sein Lächeln.
»Fragen wie diese zu beantworten«, sagte er.
Schieder seufzte und kratzte seinen Bart.
An dieser Stelle hätte die Studentin dem Treibsand von O'Connors Boshaftigkeit vielleicht entrinnen können, wenn sie einfach das Thema gewechselt hätte. Aber sie schien wie gebannt. Ihr Blick zeigte immer noch die naive Verliebtheit, mit der sie den Physiker angehimmelt hatte, allerdings sagte ihr der Verstand, irgendetwas sei gerade dumm gelaufen. Das Ergebnis war ein Gesichtsausdruck von seltener
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