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Lea

Titel: Lea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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und fuhr von der Straße hinunter auf ein Gelände mit Hotel und einer Koppel mit weißen Pferden. PROMENADE À CHEVAL stand am Eingang.
    Eine Weile blieb er mit geschlossenen Augen sitzen. Die Lider zuckten, und auf der Stirn waren feine Schweißperlen. Dann stieg er wortlos aus und ging langsam hinüber zum Zaun der Koppel. Ich trat neben ihn und wartete.
    »Würde es Ihnen etwas ausmachen, das Steuer zu übernehmen?« fragte er heiser. »Ich … mir ist nicht besonders.«
    An der Bar des Hotels trank er zwei Pernod. »Jetzt geht es wieder«, sagte er danach. Es sollte tapfer klingen, doch es war eine fadenscheinige Tapferkeit.
    Statt zum Auto ging er noch einmal zur Koppel. Eines der Pferde stand am Zaun. Van Vliet streichelte ihm den Kopf. Die Hand zitterte.
    »Lea liebte Tiere, und das spürten sie. Sie hatte einfach keine Angst vor ihnen. Noch die wütendsten Hunde wurden friedlich, wenn sie kam. ›Papa, sieh bloß, er mag mich!‹ rief sie dann aus. Als bräuchte sie die Zuneigung der Tiere, weil sie sonst keine erfuhr. Und sie sagte es zu mir . Ausgerechnet zu mir. Sie streichelte die Tiere, ließ sich die Hände lecken. Was hatte ich für eine Angst, wenn ich das sah! Ihre kostbaren, ihre so schrecklich kostbaren Hände. Später, auf meinen heimlichen Fahrten nach Saint-Rémy, stand ich oft hier und stellte mir vor, sie würde die Pferde streicheln. Es hätte ihr gutgetan. Ich bin ganz sicher, das hätte es. Aber ich durfte sie ja nicht mitnehmen. Der Maghrebiner, der verdammte Maghrebiner, er verbot es, er verbot es mir einfach.«
    Ich hatte immer noch Angst vor der Geschichte, jetzt sogar noch mehr; trotzdem war ich nicht mehr sicher, daß ich sie nicht hören wollte. Van Vliets zitternde Hand am Pferdekopf, sie hatte die Dinge verändert. Ich überlegte, ob ich Fragen stellen sollte. Doch es wäre falsch gewesen. Ich hatte ein Zuhörer zu sein, nichts weiter als ein Zuhörer, der sich still den Weg in die Welt seiner Gedanken bahnte.
    Stumm reichte er mir den Autoschlüssel. Die Hand zitterte immer noch.
    Ich fuhr langsam. Wenn wir einen Lastwagen kreuzten, blickte Van Vliet weit nach rechts hinaus. Bei der Ortseinfahrt dirigierte er mich zum Strand. Wir hielten hinter der Düne, gingen die Böschung hinauf und traten auf den Sand hinaus. Hier war es windig, die glitzernden Wellen brachen sich, und für einen Moment dachte ich an Cape Cod und Susan, meine damalige Freundin.
    Wir gingen mit Abstand nebeneinander her. Ich wußte nicht, was er hier wollte. Oder doch: nun, da Lea, von der er in der Vergangenheitsform gesprochen hatte, nicht mehr lebte, wollte er noch einmal den Strand entlanggehen, den er damals, als der Maghrebiner ihm den Zugang zu seiner Tochter verwehrt hatte, allein hatte entlanggehen müssen. Jetzt ging er auf das Wasser zu, und einen Augenblick lang hatte ich die Vorstellung, er würde einfach hineingehen, mit geradem, festem Schritt, durch nichts aufzuhalten, immer weiter hinaus, bis die Wellen über seinem Kopf zusammenschlügen.
    Auf dem feuchten Sand blieb er stehen und zog einen Flachmann aus der Jacke. Er schraubte ihn auf und warf mir einen Blick zu. Er zögerte, dann warf er den Kopf zurück, hob den Arm und goß den Schnaps in sich hinein. Ich holte die Kamera hervor und schoß ein paar Bilder. Sie zeigen ihn als Schattenriß im Gegenlicht. Eines davon steht hier vor mir, an die Lampe gelehnt. Ich liebe es. Ein Mann, der unter dem Blick eines anderen, der vorhin keinen Pernod wollte, trotzig trinkt. Je m’en fous , sagt die Haltung dieses großen, schweren Mannes mit dem wirren Haar. Wie Tom Courtenay, der nach einer verweigerten Entschuldigung in den Arrest abmarschiert.
    Van Vliet ging noch eine Weile auf dem feuchten Sand weiter. Von Zeit zu Zeit blieb er stehen, legte, wie vorhin beim Trinken, den Kopf in den Nacken und hielt das Gesicht in die Sonne. Ein gebräunter Mann, der Ende fünfzig sein mochte, Spuren des Alkohols unter den Augen, sonst aber mit dem Aussehen eines gesunden, kräftigen Mannes, dem man Sport zugetraut hätte, dahinter Trauer und Verzweiflung, die jederzeit in Wut und Haß umschlagen konnte, in Haß auch gegen sich selbst, ein Mann, der seinen Händen nicht mehr traute, wenn er die hohe, herandonnernde Front eines Lastwagens vor sich sah.
    Jetzt kam er langsam auf mich zu und blieb vor mir stehen. Die Art, wie es aus ihm herausbrach, bewies, wie sehr die Erinnerung in ihm gewütet hatte, als er am Wasser stand.
    »Meridjen heißt er, der

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