Lea
war, diese geheimnisvolle Violinprinzessin, erfuhr ich erst aus der Zeitung. Lea verschwieg ich es. Auch von dem Gerücht, daß die Frau eine Maske trug, weil ihr Gesicht durch Verbrennungen entstellt war, erfuhr sie nichts. Nur ihren angeblichen Namen verriet ich ihr: loyola de colón. Danach mußte ich ihr alles über Ignácio de Loyola und über Columbus erzählen. Sie vergaß es bald, es war nur um den Namen gegangen. Später kaufte ich ihr eine schöne Ausgabe der obras completas von San Ignácio. Sie stellte sie so hin, daß sie den Namen vom Bett aus sehen konnte; gelesen hat sie das Buch nie.
Loyola – so nannten wir sie später, es war dann, als sei sie eine alte Freundin – spielte die Partita in E-Dur von Bach. Damals wußte ich das nicht, Musik war bis dahin nichts gewesen, womit ich mich ernsthaft beschäftigt hatte. Ab und zu hatte mich Cécile in ein Konzert geschleppt, aber ich benahm mich wie die Karikatur eines Fachidioten und Kunstbanausen. Erst meine kleine Tochter führte mich in das Universum der Musik ein, und mit meinem methodisch tickenden Verstand, meinem Wissenschaftlerverstand, lernte ich alles darüber, ohne zu wissen, ob ich die Musik, die sie spielte, liebte, weil sie mir gefiel, oder ob es nur war, weil sie zu Leas Glück zu gehören schien. Die Partita von Bach, die sie später einmal mit soviel Brillanz und Tiefe spielen sollte wie niemand sonst – sicher nur für meine Ohren, ich weiß –, kenne ich heute so gut, als hätte ich sie selbst geschrieben. Könnte ich sie nur aus meinem Gedächtnis löschen!
Ich weiß nicht mehr, wie gut Loyolas Geige war. Darüber hatte ich damals kein Urteil, zum Experten für Violinklang wurde ich erst auf meiner verrückten Reise nach Cremona, viele Jahre später. Doch in der Erinnerung, die bald durch die Einbildungskraft überlagert und verwandelt wurde, hatte dieses schicksalhafte Instrument einen warmen, voluminösen Klang, der trunken und süchtig machte. Dieser Klang, der so gut zu der Aura der maskierten Frau paßte und zu ihren Augen, wie ich sie mir erträumte, hatte mich Lea für eine Weile fast vergessen lassen, obwohl ihre Hand die ganze Zeit in der meinen gelegen hatte wie immer, wenn sie von vielen Menschen umgeben war. Jetzt spürte ich, wie sich die Hand der meinen entwand, und ich war erstaunt, wie feucht sie war.
Ihre feuchten Hände und überhaupt die Sorge um ihre Hände: Wie sehr sollte das die Zukunft bestimmen und zeitweise verdunkeln!
Noch hatte ich davon keine Ahnung, als ich nun zu ihr hinunterblickte und ihre Augen sah, mit denen etwas Unglaubliches geschehen war. Lea hielt den Kopf zur Seite geneigt, offenbar, um durch eine schmale Gasse in der Menge eine bessere Sicht auf die Geigerin zu haben. Die Sehnen am Hals waren bis zum Zerreißen gespannt, sie war nur noch Blick. Und die Augen leuchteten!
In der langen Zeit unserer Spitalbesuche bei Cécile waren sie erloschen und hatten den Glanz verloren, den wir an ihnen so geliebt hatten. Mit gesenktem Blick und hängenden Schultern hatte sie still am Grab gestanden, als sich der Sarg in die Erde senkte. Als ich damals spürte, wie mir der Atem stockte und wie die Augen zu brennen begannen, hätte ich nicht zu sagen gewußt, ob es mehr wegen Cécile war oder wegen der entsetzlich stummen Trauer und Verlassenheit, die aus Leas matten Augen sprachen. Und jetzt, mehr als ein Jahr danach, war der Glanz zurückgekehrt!
Ungläubig sah ich noch einmal hin, und noch einmal. Doch der neue Glanz war tatsächlich da, er war wirklich, und er ließ es so aussehen, als habe sich für meine Tochter plötzlich der Himmel geöffnet. Ihr Körper, der ganze Körper, war bis zum Zerbersten angespannt, und die Knöchel ihrer Fäuste hoben sich gegen die restliche Haut ab als kleine weiße Hügel. Es war, als müsse sie ihre ganze Kraft aufbieten, um der verzaubernden Macht der Musik standhalten zu können. Im Rückblick will es mir auch vorkommen, als habe sie sich mit dieser Anspannung auf ihr neues Leben vorbereitet, das ohne ihr Wissen in jenen Minuten begann – als sei sie angespannt gewesen wie eine Läuferin vor dem Sprintlauf, dem Lauf ihres Lebens.
Und dann, ganz plötzlich, löste sich diese Anspannung, die Schultern sanken, und die Arme hingen an ihr herunter – vergessene, gefühllose Anhängsel. Einen Moment lang meinte ich, es sei das Erlöschen ihres Interesses, das sich in der plötzlichen Erschlaffung ausdrückte, und befürchtete, sie sei aus der Verzauberung
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