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Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)

Titel: Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Die Verführung? Die Hingabe? Als sein fieberhaft arbeitender Geist sie in das letzte Feld setzte, blieb er abrupt stehen.
    »Stopp«, sagte er so laut, dass er erschrak. Sofort drehte er sich um. Sie hatte es nicht gehört, sondern betrachtete weiter das Schaufenster. Wie immer funktionierte es. Wenn sein Kopf zu zerplatzen schien und die Gedanken sich verselbstständigten, konnte er sich mit diesem einen Wort zur Ruhe bringen. Dem kreativen Impuls zu folgen, war gut, doch er durfte ihn nicht ins Chaos führen. Sein Werk hatte Anfang und Ende. Die Reihenfolge stand fest. Zuerst kam das Versprechen. War sie es? Das Haar, die Kleidung, die frauliche Figur passten. Die Frau drehte sich um. Sie kam direkt auf ihn zu. Fast hatte sie ihn erreicht, ehe er einen Schritt zur Seite machte. Sie lächelte ihn an und senkte leicht den Blick. In dieser unscheinbaren Geste lag, was er suchte.
    Er sah aus den Augenwinkeln, dass sie das Café »Marktstätte« betrat. Er tastete erneut nach dem Fläschchen und bereute, die Wirkung nicht vorher ausprobiert zu haben. Er musste der Beschreibung auf der Internetseite vertrauen. Demnach hatte er ausreichend Zeit für sein Vorhaben.
    Er atmete tief durch und spürte, dass seine Nervosität nachließ. Tiefe Ruhe stellte sich ein ‒ wie jedes Mal, wenn er mit einem Werk begann. In dieser Sekunde war alle Falschheit aus der Welt. Alles war an seinem Platz.
    Mit festen Schritten ging er auf das Café zu und drückte die Eingangstür auf.
     
     
    ***
     
     
    Thal erwachte, schloss die Augen aber sofort wieder. Er fürchtete, Leah ansonsten zu verlieren. Es war, als schmiege sie sich an ihn, wie sie es morgens getan hatte, wenn sie nach einer im Atelier durchgearbeiteten Nacht zu ihm ins Bett kroch. Das Gefühl war derart real, dass er den Arm nach hinten streckte, um sie enger an sich zu ziehen und seine Hand an ihrem Rücken herunterwandern zu lassen. Er war enttäuscht, nur die kalte Sitzlehne der Wohnzimmercouch zu spüren, zog den Arm zurück und konzentrierte sich auf die Wärme, die ihn vom Hals abwärts umhüllte. Er wollte die Empfindung in jeder Zelle seiner Haut speichern. Thal war ein rationaler Mensch und Skeptiker. Trotzdem hatte er insgeheim auf einen solchen Moment gewartet. Einhundertvier Tage waren seit dem Unglück vergangen, mit dem sein bisheriges Leben endete, ohne dass ein neues an seine Stelle getreten war. Einhundertvier Tage, in denen er nur auf Leah wartete, obwohl er wusste, dass sie nicht kommen würde. Sie war tot, und der Tod war das Ende. Daran zweifelte er nicht. Als seine Mutter ihm nach Leahs Beerdigung erzählte, dass sein Vater vier Wochen nach seinem Tod an ihrem Bett gestanden hätte, streichelte er ihr liebevoll über den Arm. Sie beteuerte, dass es kein Traum gewesen sei. Ihr Mann, sein Vater, habe sie fast eine Minute stumm, aber glücklich lächelnd angesehen. Thal war sich sicher: Das war nichts als eine Halluzination. Der Wunsch war der Vater dieser Erscheinung.
    In den Tagen nach der Beerdigung, die er benebelt von Wein und Whiskey in der abgedunkelten Wohnung verbracht hatte, kroch die Vorstellung in sein Hirn, in den unzähligen, in allen Kulturen verbreiteten Mythen vom Leben nach dem Tod stecke möglicherweise doch ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht wollten die Verstorbenen doch mit den Lebenden Kontakt aufnehmen. Er wehrte sich gegen diesen Gedanken, trauerte und trank. Der Alkohol betäubte ihn. Wenn er morgens mit einem Geschmack von Seetang auf der pelzigen Zunge und pochendem Schmerz im Hinterkopf erwachte, prüfte er als Erstes, ob der Schnapsvorrat für den nächsten Tag reichte. So viel er auch trank, die Sehnsucht ließ nicht nach. Nur seine Erinnerungen wurden unschärfer. Um sich Leahs Gesicht vorzustellen, musste er bald ein Foto zu Hilfe nehmen. Früher hatte er mühelos ganze Situationen wie nach Drehbuch in seinem Kopfkino abrufen und Szene für Szene anschauen können. Zehn Tage nach Leahs Beerdigung versuchte er abends ‒ die am Nachmittag geöffnete Whiskeyflasche war mehr als zur Hälfte geleert ‒, sich an den heißen Sommertag vor zwanzig Jahren zu erinnern, an dem der Kriminalkommissar Alexander Thal das winzige Atelier der jungen, noch unbekannten, indes nach Meinung ihrer Professoren zu großen Hoffnungen berechtigenden Künstlerin Leah Braasch betrat, um sie als Zeugin im Mordfall des über die Grenzen der Region hinaus bekannten Bildhauers Gottlieb Großmann zu befragen. So sehr er sich auch abmühte, er konnte sich

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