Leahs Vermächtnis (Berg und Thal Krimi) (German Edition)
einen Zettel:
1 – 6 – 2 – 3 – 4 - 5
Es gab eine einzige Abweichung. Das zweite Foto war zuletzt entstanden. Was konnte das bedeuten? Thal verkleinerte die Bilder und ordnete sie in der korrekten Reihenfolge. Wenn die Frau tot war, wäre es schwierig gewesen, ihr erst für Foto vier und fünf die Jacke auszuziehen, um sie für die sechste Aufnahme wieder anzukleiden. Dem Fotografen ging es um eine Botschaft, es sei denn, die Dateiinformationen wären ebenfalls manipuliert. Aber das ließe sich überprüfen. Thal kopierte die Dateien auf seinen Computer, zog den Chip heraus und stürmte in die Diele. Dort griff er seinen Mantel und verließ die Wohnung.
***
Bettina Berg lehnte sich in ihrem altersschwachen Bürostuhl zurück, der darauf laut und anhaltend stöhnte. Sie sollte sich dringend um einen neuen Stuhl bemühen, sonst würde sie bald rücklings auf den Boden fallen, aber vor Aschermittwoch wäre das sinnlos. Die Kollegin von der Beschaffung war die einzige Polizistin in Konstanz, die über Fastnacht Urlaub bekam.
Seit Höferers Pensionierung vor zwei Monaten teilte sie das Büro mit Klaus Wagner, der auf Gerths Anweisung direkt nach der Besprechung ins Krankenhaus gefahren war. Die Ärzte wollten heute Gustav Häfele, das Opfer des letzten Raubüberfalls, aus dem künstlichen Koma holen. Wahrscheinlich würde Wagner dort nur die Zeit totschlagen, denn die Ärzte erlaubten eine Befragung in der Regel frühestens nach ein paar Tagen. Aber wenn Gerth meinte … Bettina seufzte. Auf jeden Fall war sie froh, mit Wagner das Zimmer zu teilen. Sie hatte befürchtet, dass Gerth sich zu ihr setzen würde. Wagner war zwar dreiundfünfzig Jahre und damit vierzehn Jahre älter als sie, aber sie waren beide Kriminaloberkommissare. Normalerweise achtete man darauf, dass in jedem Raum eine Dienstgradhierarchie bestand. Seitdem Alexander krankgeschrieben war, gab es nur noch einen Kriminalhauptkommissar im Kommissariat 1: Gerth. Die ganze Mannschaft rätselte, warum er es vorgezogen hatte, in ein »Dreierbüro« mit Frank Auer und Stephanie Bohlmann zu ziehen. Böse Zungen behaupteten, der notorische Schürzenjäger Gerth rechnete sich bei der schüchternen Kommissaranwärterin größere Chancen aus als bei Bettina. Womöglich spekulierte Gerth eher darauf, dass Thal nicht mehr in den Dienst zurückkehrte. Dann könnte er in ein paar Wochen in das Büro des Kommissariatsleiters umziehen. Bettina wollte sich den Tag nicht zu schwer machen und wischte diesen Gedanken beiseite. Bis dahin floss noch viel Wasser durch den Bodensee. Personalentscheidungen waren im Präsidium ohnehin unvorhersehbar.
Zeit für einen Kaffee! Sie nahm ihre Tasse vom Schreibtisch, in der sich ein abgestandener Rest vom Vortag befand. Sie wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als die Tür geöffnet wurde.
»Alexander!« Bettina starrte ihn an.
»Hallo Bettina. Wie geht’s?«
Langsam, ohne den Blick von Thal zu wenden, ging sie zu ihrem Schreibtisch zurück. Alexander war immer schlank und durchtrainiert gewesen, jetzt war er abgemagert. Sein Gesicht war verhärmt. Er zog den Mantel aus. Die modische Leinenhose hing wie ein Sack an ihm herunter. Auch früher trug er seine dunklen, dichten Haare länger, als man es von einem Mann Ende fünfzig erwartet hätte. Bettina sah darin den Versuch, sich dem Stil der Künstlerfreunde seiner Frau anzupassen. Jetzt hingen die Haare bis auf die Schultern. Sie wirkten ungepflegt. Alexander war eindeutig nicht in einem guten Zustand. Seine Augen waren stumpf, sein Blick irrte fahrig im Raum umher. Selbst sein einnehmendes Lächeln wirkte angestrengt.
Obwohl der äußere Anschein dagegen sprach, stellte Bettina die naheliegende Frage:
»Und du, bist du gesund? Fängst du wieder an zu arbeiten?«
Thal klopfte auf sein Jackett. »Hier ist das Attest für die nächsten Wochen.«
Bettina nickte. Sie traute sich nicht, weiter zu fragen. War Alexander nur deshalb gekommen, um seinen endgültigen Abschied einzureichen, und wollte sie vor den anderen informieren?
Alexander ging zu Wagners Schreibtisch. Er zog den Stuhl neben Bettina und holte einen Plastikbeutel aus der Tasche, in dem sich ein aufgerissener Briefumschlag und ein kleines Plastikstück befanden. Er ließ beides auf die Tischplatte fallen.
»Das war heute in meiner Post. Schieb den Chip mal in den Rechner. Aber zieh Handschuhe an.«
Bettina öffnete die Schreibtischschublade, zog einen Plastikhandschuh aus der Zupfbox
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