Lean In: Frauen und der Wille zum Erfolg (German Edition)
nichts anderes übrig, als die freundschaftliche Unterredung abzubrechen und die Personalabteilung mit ins Boot zu holen. Wahrscheinlich hätte es ihr mehr gebracht, zunächst zu erklären, was das Unternehmen an ihr habe, und dann um die Beförderung zu bitten.
Auch heute noch führt die Erwähnung von Geschlechterfragen in beruflichen Situationen oft dazu, dass sich die Leute sichtlich unwohl fühlen. Man muss aber vielen Institutionen zugutehalten, dass sie die Angestellten für diese Fragen stark sensibilisiert haben, insbesondere für sexuelle Belästigung. Doch während Seminare von der Personalabteilung das Bewusstsein wecken und zum Schutz der Angestellten beitragen können, schwebt damit auch die Drohung juristischer Schritte über diesem Thema. Das kann eine echte Hürde vor derartigen Gesprächen darstellen. Bundes- wie Ländergesetze, die dazu da sind, Angestellte vor Diskriminierung zu schützen, legen eigentlich nur fest, dass ein Arbeitgeber keine Entscheidungen aufgrund bestimmter, festgelegter Charakteristika wie Geschlecht, Schwangerschaft und Alter treffen darf. Doch die Unternehmen gehen häufig noch einen Schritt weiter und legen ihren Managern nahe, in diesem Zusammenhang gar keine Fragen zu stellen. Jeder, der auch nur freundlich »Sind Sie verheiratet?« oder »Haben Sie Kinder?« fragt, kann später beschuldigt werden, auf dieser Grundlage eine Personalentscheidung getroffen zu haben. Im Ergebnis kann ein Manager, der versucht, einer weiblichen Angestellten mit einem Hinweis auf einen geschlechterbedingten Unterschied in ihrem Auftreten zu helfen, genau dafür der Diskriminierung beschuldigt werden.
Als ich zum ersten Mal eine zukünftige Mitarbeiterin fragte, ob sie bald Kinder haben wolle, war ich mir darüber im Klaren, dass ich damit mich und mein Unternehmen einem juristischen Risiko aussetzte. Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen war ich in der Position, dieses Risiko einschätzen zu können, und beschloss, es einzugehen. Die Gesetze, die Frauen, Minderheiten und Menschen mit Behinderung vor Diskriminierung schützen, sind absolut notwendig, und ich möchte niemandem nahelegen, sie zu umgehen. Doch habe ich eben auch miterlebt, wie sie jegliche Diskussion erschweren können, manchmal sogar zum Nachteil genau der Menschen, die sie eigentlich schützen sollen. Ich habe keine Lösung für dieses Dilemma und überlasse es den Politikern und Juristen, es zu lösen. Jedenfalls bin ich überzeugt davon, dass es ernsthafte Aufmerksamkeit verdient hat, damit wir mit solchen Fragen auf eine Art und Weise umgehen können, die Schutz bietet, ohne zu unterdrücken.
Die meisten Leute stimmen zu, dass es tatsächlich einen geschlechtsbezogenen Verzerrungseffekt gibt … bei anderen. Wir selbst hingegen würden uns von derart oberflächlichen und unaufgeklärten Meinungen niemals beeinflussen lassen. Aber so ist es. Unsere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit beeinflussen bei der Arbeit im Umgang mit Kollegen und in ihrer Bewertung. Eine Studie aus dem Jahr 2012 ergab, dass Wissenschaftler beider Geschlechter den männlichen Bewerber besser einschätzten, wenn sie für die Besetzung eines Laborleiterpostens identische Lebensläufe von einem männlichen und einer weiblichen Studierenden bewerteten. Obwohl die beiden Studenten über die gleichen Qualifikationen und Berufserfahrung verfügten, hielten die Wissenschaftler die Studentin für weniger kompetent, boten ihr ein niedrigeres Einstiegsgehalt an und waren weniger geneigt, sich als Mentoren zu engagieren. 5 Andere Studien zu Jobbewerbern, Kandidaten für Stipendien und Musikern bei Orchestervorspielen führen zur gleichen Schlussfolgerung: Vom Gender Bias hängt ab, wie wir Leistung bewerten, und dies führt üblicherweise dazu, dass wir Männer besser einschätzen als Frauen. 6 Auch heute noch führen Bewertungen ohne offengelegtes Geschlecht für Frauen zu besseren Resultaten. 7 Leider sind für die meisten Stellen persönliche Vorstellungsgespräche nötig.
Wir alle, mich eingeschlossen, sind voreingenommen, ob wir es nun zugeben oder nicht. Und wenn wir glauben, dass wir objektiv sind, können wir in Wahrheit alles noch schlimmer machen. Dadurch entsteht, was Sozialwissenschaftler den »blinden Fleck für Bias-Phänomene« nennen. Dieser blinde Fleck verleitet Menschen dazu, sich zu sehr auf ihre eigene Objektivität zu verlassen. Dadurch versäumen sie es, Verzerrungen auszugleichen. 8 Für den Posten des Polizeichefs sollten
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