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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tricia Rayburn
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K APITEL 1
    M eine Schwester Justine war immer der Meinung, Angst vor der Dunkelheit ließe sich am besten bekämpfen, indem man so tat, als sei es in Wirklichkeit ganz hell.
    Schon vor Jahren versuchte sie, diese Theorie in die Praxis umzusetzen: Wir lagen in unseren Betten und waren umgeben von Schwärze. Ich hatte mich hinter einem Schutzwall aus Kissen versteckt und war überzeugt, dass in den Schatten das Böse lauerte und nur auf die Verlangsamung meiner Atemzüge wartete, um sich auf mich zu stürzen. Und jede Nacht versuchte Justine, die nur ein Jahr älter, aber um Jahre reifer war als ich, mich geduldig abzulenken.
    »Hast du gesehen, was für ein tolles Kleid Erin Klein heute anhatte?«, fragte sie zum Beispiel. Wie immer begann sie mit einer einfachen Frage, um abschätzen zu können, wie schlimm es diesmal war.
    In seltenen Fällen – meistens wenn wir nach einem ereignisreichen Tag erst sehr spät im Bett lagen – war ich zu müde, um mich panisch zu fühlen. An diesen Abenden antwortete ich mit Ja oder Nein, und dann unterhielten wir uns ganz normal, bis wir einschliefen.
    Aber meistens flüsterte ich stattdessen etwas wie »Hast du das gehört?« oder »Tut es weh, wenn man von einem Vampir gebissen wird?« oder »Können Monster eigentlich riechen, ob man Angst hat?«. Dann machte Justine mit Strategie Nummer zwei weiter.
    »Wie hell es hier ist«, behauptete sie. »Ich sehe einfach alles – meinen Rucksack, mein blaues Glitzerarmband, unseren Goldfisch im Glas. Und was siehst du, Vanessa?«
    Also zwang ich mich, mir ganz genau vorzustellen, wie unser Zimmer ausgesehen hatte, bevor Mom das Licht ausgeknipst und die Tür geschlossen hatte. Darüber vergaß ich irgendwann, dass das Böse nur auf seinen Auftritt wartete, und schlief ein. Jede Nacht war ich überzeugt, dieser Trick würde niemals funktionieren, und jedes Mal funktionierte er doch.
    Justines Methode war genauso hilfreich, um meine vielen anderen Ängste in Schach zu halten. Aber als ich nun mehrere Jahre später oben auf einer Klippe stand und auf den Atlantik schaute, war mir klar, dass sie mit dem alten Trick diesmal keine Chance hatte.
    »Simon sieht diesen Sommer ganz verändert aus, findest du nicht?«, fragte sie, als sie an meine Seite trat und sich das nasse Haar auswrang. »Älter. Richtig süß.«
    Ich antwortete nicht, gab ihr aber recht. Als er und sein jüngerer Bruder Caleb vor kurzem an unsere Haustür geklopft hatten, war mir Simons äußere Verwandlung sofort ins Auge gefallen. Doch dieser Gesprächsstoff musste bis später warten, am besten bis zum Aufwärmen an dem alten, steinernen Kamin in unserem Haus am See. Dazu allerdings mussten wir erst einmal heil zurückkommen.
    »Bei Caleb ist es genauso«, startete sie einen neuen Versuch. »Die gebrochenen Mädchenherzen in Maine müssen sich dieses Jahr mindestens vervierfacht haben.«
    Ich versuchte zu nicken, während meine Augen starr auf das strudelnde Wasser und die weißen Schaumkronen in fünfzehn Metern Tiefe gerichtet waren.
    Justine wickelte sich ein Handtuch um die Schultern und stellte sich direkt neben mich. Sie war mir so nah, dass ichdas Meersalz riechen konnte, das in ihrem Haar und ihren Poren haftete, und ihre feuchte Haut kühlte mich, als würden wir uns aneinanderschmiegen. Wasser tropfte von ihren Haarspitzen, fiel hörbar auf den warmen grauen Schiefer und ließ Spritzer auf meinen Füßen landen. Eine plötzliche Windböe blies die Gischt zu uns herauf und hüllte uns ein. Mein Frösteln verwandelte sich in einen Angstschauder. Irgendwo weit unten hörte ich Simon und Caleb lachen. Sie suchten den steilen Pfad, der durch den Wald zurück zu uns führte.
    »Das ist nur ein Swimmingpool«, sagte sie. »Du stehst auf einem Sprungbrett einen Meter über dem Wasser.«
    Ich nickte. Hier war der Moment, an den ich die gesamte Sechsstundenfahrt von Boston gedacht hatte und der mir seit dem letzten Sommer mindestens einmal täglich vor Augen gestanden hatte. Mir war klar, dass der Sprung schlimmer aussah, als er war. In den zwei Jahren, seit wir das morsche Schild entdeckt hatten, das auf diesen einsamen Aussichtspunkt fern der üblichen Touristen- und Wanderrouten hinwies, waren Justine, Simon und Caleb schon Dutzende Male von der Klippe gesprungen und hatten nie auch nur einen Kratzer davongetragen. Noch wichtiger war die Gewissheit, dass ich mich immer nur wie ein halbes Mitglied unserer kleinen Sommerclique fühlen würde, solange ich nicht

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