Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Menschen in Wien. Auch Läufer reden über Bombenalarm.“
„Okay“, murmle ich. „Sorry.“ Ich sollte ihr von Carmen erzählen, Vesnas praktischer Verstand könnte meine Gedanken aufräumen. Aber Vesna hat das Gespräch bereits beendet. Lauftraining. Auch eine Möglichkeit, mit der Midlife-Crisis umzugehen. Vesna war immer gut in Form, das mache das Putzen, war sie überzeugt. Aber seit sie mehr managt als putzt, hat sie Angst um ihre Figur. Und außerdem brauche sie eine neue Herausforderung, hat sie befunden. Also hat sie etwas trainiert, ist beim heurigen Wiener City Marathon gestartet und hat sich geärgert, dass sie erst mit dem letzten Drittel ins Ziel gekommen ist. Ich fände es ja schon sensationell, diese Strecke überhaupt zu schaffen, aber Vesna kann ganz schön ehrgeizig sein. Jetzt trainiert sie für den Marathon im nächsten Jahr und will dann deutlich weiter vorne liegen. Ich seufze und wähle die Nummer von Weis.
Weis will sich für mich Zeit nehmen, aber erst am Nachmittag. Ich kann mit dem Aufschub leben. Außerdem weiß er ohnehin nicht mehr über die Bombendrohung als ich. Er wird sie nur ausreichend breittreten, von allen Seiten beleuchten, mit Lebenshilfe oder dem, was er dafür hält, unterfüttern und vor allem sich selbst in der Bombe spiegeln. Was eignet sich besser zur Selbstdarstellung als eine Katastrophe? Ich kann mir schon vorstellen, wie er diesen Samstag in seiner Fernsehshow auftritt. Milde lächelnd, als habe nur er verhindert, dass die Bombe hochgegangen ist. Er wird uns den Terror und die Krise erklären und etwas von innerer Stärke erzählen und vielleicht gemeinsam mit seinen Zuschauern meditieren. Er auf seinem weißen Hocker im Fernsehstudio, die Zuschauer auf der Fernsehcouch. Das Bedürfnis vieler Menschen nach einer Schmalspurerleuchtung in zwanzig Minuten ist hoch. Die haben auch kein Problem, wenn so eine Show „Guru“ heißt. Führer. Hört das nie auf, dass sich die Menschen nach einem Führer sehnen? Und warum sind, wenn es sich nicht um politische, sondern um geistige Führer handelt, gerade so viele Frauen zu begeistern? Weil sie die spirituelleren Menschen sind? Na ja. Vielleicht. Ich starre auf meinen Grünpflanzendschungel. Frauen lassen viel zu. Manchmal viel zu viel. Sieh es positiv, Mira. Es gibt Frauen, die wenigstens noch nach dem bisschen Mehr, das wir Glück nennen, suchen. Während Männer lieber das vierte Bier trinken, als sich auf so etwas Kompliziertes wie Sinnsuche einzulassen. Sie haben es wohl nicht besser gelernt. Keine Verallgemeinerungen, Mira. „Die“ Frauen gibt es ebenso wenig wie „die“ Männer. Wie Carmens Mutter wohl ist? Eine toughe Geschäftsfrau? Angeblich hat sie reich geheiratet. Eine unterbeschäftigte Ehegattin mit Verdauungsproblemen auf der Suche nach dem Sinn des Lebens? Weis hat seinen Sinn wohl gefunden. Bekannt zu sein, gefragt zu werden und damit jede Menge Geld zu machen. Zu einfach. Das ist auch zu einfach, Mira. Ich arbeite bei einer Wochenzeitung für ein Massenpublikum. Ich muss vereinfachen. Und ganz abgesehen davon: Ich persönlich mag weder Bier noch Gurus. Ich sollte mich auf Praktisches konzentrieren. Wer kann mehr wissen über die Bombendrohung – und mir etwas darüber erzählen? Einer unserer jungen Reporter wartet gemeinsam mit vielen anderen Journalisten vor dem Polizeipräsidium auf Informationen. Ich muss einen besseren Weg finden. Bisher weiß man bloß, dass eine „Sondereinheit Bombenalarm“ gebildet wurde. Mit dabei Zuckerbrot, Chef der Mordkommission 1, seit Jahrzehnten Freund von Droch, aber ebenso stur wie er und nicht bereit, mit mir mehr zusammenzuarbeiten, als sein muss. Die beiden gehen einmal in der Woche zusammen essen und reden dabei angeblich nie über irgendetwas Berufliches. Wer es glaubt. Zumindest dringt nichts nach außen und mir erzählen sie schon gar nichts. Mit dabei ist aber auch Verhofen, aufgehender Stern am Kriminalhimmel, Jurist, jahrelang bei der UNO und jetzt nach Wien heimgekehrt. Als wir uns letztes Mal begegnet sind, hatte ich beinahe den Eindruck, er schwärmt ein wenig für mich. Sicher Unsinn. Aber doch ein nettes Gefühl. Er ist immerhin einige Jahre jünger als ich. Vielleicht trifft er sich mit mir. Mira, er ist ein Profi. Er wird nichts erzählen, was nicht an die Öffentlichkeit soll. Außerdem kann ich ihn wohl schlecht anrufen und sagen, dass ich ihn fragen möchte, was genau der Anrufer gesagt hat, woher der Anruf gekommen ist, ob es
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