Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
niemand erfährt etwas von unserem Treffen. Nicht einmal Droch.“
Wenig später hole ich mein Auto aus der Tiefgarage. Oskar hat mir einen Stellplatz geschenkt, er kostet monatlich in etwa so viel, wie Vesna für ihr Büro und ihre Wohnung zusammen bezahlt. Daran hat auch die Wirtschaftskrise noch nichts geändert. Allerdings gibt es seit Jahren zum ersten Mal überhaupt freie Stellplätze zu mieten. Es wäre klüger, meinen Allrad-Honda zu verkaufen, aber irgendwie ist er ein Stück eingebildete Unabhängigkeit, die ich nicht aufgeben möchte. Wahrscheinlich braucht jede und jeder einen Therapeuten, wenn schon keinen Guru. Ich auch mit meinen ewigen Abhängigkeitsängsten. Ich kann Weis förmlich hören: „Wer sich vor Abhängigkeit fürchtet, ist zu schwach, um sie zuzulassen.“ Brrr. Jedenfalls bin ich auf dem Weg zu ihm und da ist ein Auto sehr nützlich. Das Weis.Zentrum liegt am äußersten Stadtrand von Wien, in einer Heurigengegend auf einer Anhöhe mit wunderbarem Ausblick über die Stadt. Einen schöneren habe ich nur auf einem Hügel im südlichen Weinviertel erlebt. Es ist Monate her, dass ich bei meiner Freundin Eva war. Ihr gehört der Wein, der auf jenem Hügel wächst. Ich seufze und nehme mir vor, sie so rasch wie möglich zu besuchen.
Ohne Auto wäre es eine Weltreise zum Weis.Zentrum. Aber die zahlreichen Jüngerinnen und die wenigen Jünger, die dorthin pilgern, haben ohnehin eines. Das sind keine Menschen, die die Annehmlichkeiten des Konsumlebens verachten, keine alternativen Tagträumer, sie wollen nur noch mehr. Und das suchen sie bei Guru Weis. Stopp. Ich werde mich Weis und seinem Zentrum vorurteilsfrei nähern und vergessen, was für Schaumgewäsch in seinem Buch steht. Es ist fertig. Ich bekomme vom Yom-Verlag nur noch die Druckfahnen zur Durchsicht.
Da: Das weiße Schild mit der schlichten schwarzen Schrift: „Weis.Zentrum“. Nicht das erste Mal, dass ich die schmale Einfahrt beinahe verpasst hätte. Ich halte auf dem großen geschotterten Parkplatz. Hier war einmal ein Heurigenlokal. Weis hat den Parkplatz gelassen, das Haus freilich abgerissen. Ich gehe zwischen Rosen und Weinreben einige Schritte bergauf, und da steht es: das Weis.Zentrum. Gebäude aus Glas. Es spiegelt die Sonne, als stamme es von ihr. Und dass einige der Innenwände aus japanischem Reispapier sind, lässt es nur noch durchscheinender, fragiler, wie eine Seifenblase von Haus, ein Luftgespinst erscheinen. In der wie immer geöffneten Eingangstür bewegt sich ein indisches Glockenspiel im Wind. Weis nimmt von überall, was gut wirkt. Es ist Berger, der mir entgegenkommt. Ich freue mich. Jan Berger ist Psychologe und so etwas wie die rechte Hand von Weis. Ruhig, bescheiden, im Vergleich zu Weis und dessen großen Gesten angenehm zurückhaltend. Weis bezeichnet ihn gerne als „den Handwerker“ von ihnen beiden. Was meint dann er zu sein? Wohl der Künstler. Jan Berger will wissen, was gestern geschehen ist.
„Hat Weis noch nichts erzählt?“, frage ich.
Berger schüttelt den Kopf. „Er gibt seit heute früh Interviews. Das jetzt ist die erste … Klientin, die er empfangen hat.“ Er deutet hinüber zum sogenannten Begegnungsraum. Weis, gekleidet in einen bodenlangen weißen Kaftan, und eine gut angezogene Frau um die fünfzig sitzen einander auf weißen Hockern gegenüber. Sie scheint zu sprechen, er scheint nichts zu sagen. Erstaunlich, wie schalldicht Glas sein kann. Ein eigenartiges Gefühl: Man sieht alles, aber hört nichts.
„Er nennt sie ‚Jüngerinnen‘, nicht wahr?“
Berger wiegt den Kopf. „Sie mögen es. Aus irgendeinem Grund mögen sie es. Sonst würde er es nicht tun.“
„Katholisch kann keine von denen sein“, murmle ich.
Berger lächelt. „Stimmt nicht. Es gibt einige, die sind gläubig. Aber offenbar gibt ihnen die Kirche nicht genug.“
Meine Mutter wäre empört, das weiß ich. Jesus hatte Jünger – und auch Jüngerinnen, selbst wenn das die Amtskirche nicht so gerne hört –, aber sonst keiner. Sie sucht sich ihre spirituellen Erlebnisse lieber auf Katholisch. Es gibt ja auch dort zwischen Medjugorje und Lourdes genug Angebote für solche, die lieber das Erleuchtende als das Einleuchtende mögen. Ich erzähle Berger kurz von dem, was gestern passiert ist. Je mehr ich darüber rede, desto seltsamer kommt es mir vor, dass ich den Bombenalarm tatsächlich miterlebt haben soll.
„Sie sollten mit Zerwolf reden. Der war gestern auch dort.“ Dann schüttelt Berger den Kopf.
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