Leben mit Hochsensibilitaet
nach der Funktion dieser „Abweichung“: Hat sie vielleicht in der Schöpfungsgeschichte einen bestimmten Sinn und Zweck? Wir sollten uns der Gefahr bewusst sein, dass Hochsensibilität schnell in eine Reihe mit anderen „Syndromen“ gestellt und als abträgliche Abweichung abgetan wird. In diesem Fall wird man den Hochsensiblen nicht gerecht und übersieht die Gaben, die sie besitzen.
Eine andere plausible Erklärung für Hochsensibilität kann man aus sozialgeschichtlicher Perspektive geben. Aron – die dieser Auffassung tendenziell folgt – nimmt an, dass Hochsensible in früheren Zeiten die Priester, Seher und Heiler in einer Gemeinschaft waren. Sie waren die Berater des Königs, sozusagen „der Rat der Weisen“. Während sich der König und seine Soldaten um Verteidigung undExpansion kümmerten, warnten die Hochsensiblen vor möglichen Gefahren. Sie hatten also eine klar umrissene Aufgabe, und eine wichtige dazu. Sie sahen Dinge, die anderen Menschen oder auch Tieren nicht auffielen. Durch ihre ausgesprochen feinen Sinne und ihr außerordentliches Bewusstsein für Details erkannten sie frühestmöglich, wenn Gefahr drohte, und welche Strategie für das Wohlergehen der Gemeinschaft gerade die beste war.
Schutz und Sicherheit waren im Leben unserer Vorfahren keine Selbstverständlichkeit. Gefahr drohte stets. Stämme waren ständig inneren und äußeren Bedrohungen ausgesetzt. Das Rascheln im Gebüsch oder ein unbekannter Geruch, der von ferne kam, konnte auf den Angriff eines feindlich gesonnenen Stammes hinweisen. Sich zusammenziehende Wolken konnten ein Unwetter mit gefährlichen Blitzen ankündigen. Die Gruppe oder der Volksstamm, der diese Signale am besten auffing und interpretierte, hatte die größten Überlebenschancen. Bei dieser Aufgabe spielten die Hochsensiblen eine wichtige Rolle. Anhand von kleinsten Veränderungen konnten sie Vorhersagen machen und Rat geben, wovon die Gruppe profitierte. Dieselben Gründe dürften auch in der Tierwelt gelten. Die scheuen, wachsamsten Tiere des Rudels sind die Hochsensiblen. Studien belegen, dass diese Temperamentsunterschiede tatsächlich eine Rolle spielen.
Auch heute noch ist ein Teil der Welt mit Gefahren wie Kriegen und kämpferischen Auseinandersetzungen konfrontiert. Oder mit Gefahren anderer Art, wie Umweltverschmutzung und Naturkatastrophen. Also nutzt eine gesunde soziale Gemeinschaft auch heute noch – sei es auch in komplexerer Form – die Weisheit von Spezialisten, Sehern und Pionieren. Basierend auf deren Forschungen und Ratschlägen werden neue Gesetze und Regeln erstellt. Das neuronale System von Hochsensiblen basiert auf dem Prinzip von „Innehalten und Prüfen“. Es wird auch
Pause-to-check
-System genannt. Dieses System ist für Hochsensible entscheidend. Geringer Sensible laufen signifikant schneller und unbefangener in ihr Verderben. Sie nehmen weniger Gefahren wahr und sind deshalb wenigerängstlich. Das mag sinnvoll sein, wenn man Krieger, Ritter oder Soldat ist. Doch ein Hochsensibler fühlt erst die Wassertemperatur, bevor er ins Wasser springt; er studiert erst den Wetterbericht, bevor er sich aufmacht zur Wanderung.
Pause-to-check
, Innehalten und Prüfen, bedeutet: alle Details und Möglichkeiten bewusst wahrzunehmen, sie als zusammenhängendes Ganzes zu erfassen, zu begreifen und dann die bestmögliche Schlussfolgerung zu ziehen. Wenn ein hochsensibler Mensch auf diese Art einer Gemeinschaft dient, berücksichtigt er üblicherweise das Interesse aller Mitglieder. Sein Ziel ist es, der ganzen Gruppe zu helfen; seine Grundeinstellung ist eher altruistisch als egoistisch. Er ist in seiner Aufgabe als Mahner und Seher auf das ausgerichtet, was die Gruppe verbindet. Dazu gehören beispielsweise das Verhindern von Aggressivität und Missmanagement, wie es Friedensaktivisten in Militärregimes mittels Flugblättern und Aktionen praktizieren. Oder die kreativen Aktivitäten von Forschern und Erfindern, die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Fortschritt bewirken. Oder man denke an Umweltaktivisten und Entwicklungshelfer, die sich immer wieder mit nicht nachlassendem Mut und Optimismus daran machen, diese Welt zu einer lebenswerten Welt für alle zu machen. Oder an die Darbietung von Kunst und Musik, bezahlt und unbezahlt, wie es Künstler und Artisten tun. Weil Hochsensible traditionellerweise für Besinnung und Vertiefung sorgen, findet man die meisten von ihnen auch heute noch unter Wissenschaftlern, Therapeuten,
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