Twin Souls - Die Rebellin: Band 2 (German Edition)
Prolog
Wir teilen uns ein Herz, Addie und ich. Wir nennen dasselbe Paar Hände unser Eigen. Bewohnen dieselben Glieder. An jenem heißen Junitag, nicht lange nach unserer Flucht aus der Nornand-Klinik, standen wir einfach still da und sahen mit gemeinsamen Augen zum ersten Mal den Ozean. Der Wind peitschte uns die Haare ins Gesicht. Der Sand klebte an unserer von einem Salzfilm überzogenen Haut und verlieh unseren bleichen Beinen eine leichte Bräune.
Wir hatten den Tag so verbracht, wie wir die vergangenen fünfzehn Jahre unseres Lebens verbracht hatten. Als Addie und Eva, Eva und Addie. Zwei Seelen, die sich einen Körper teilten. Hybride.
Aber die Sache ist die: Dieselben Hände zu haben bedeutet nicht, dieselben Ziele zu haben. Dieselben Augen zu haben bedeutet nicht, dieselben Ansichten zu haben. Und dasselbe Herz zu haben bedeutet nicht, dieselben Dinge zu lieben.
Hier sind ein paar Dinge, die ich liebte:
Die schockierende Kälte des Ozeans, als ich bis zur Taille im Wasser stand und in den brechenden Kamm jeder heranrollenden Welle sprang. Den Klang von Kittys Gelächter, als ich sie kitzelte. Die atemberaubende Freude beim Anblick der tanzenden Hally. Die Art, wie Ryan mich anlächelte, als ich mich ihm zuwandte und sein Blick mich bereits umfing.
Addie mochte diese Dinge ebenfalls. Aber sie schätzte sie nicht auf dieselbe Weise wie ich – mit verzweifeltem Verlangen. Denn ich hätte sie niemals haben sollen. Millionen rezessiver Seelen erlebten ihren fünften Geburtstag nicht, geschweige denn ihren fünfzehnten. Das war der Lauf der Welt – oder zumindest hatte man Addie und mir das weisgemacht. Zwei Seelen, in einen Körper geboren. Eine von den Genen dazu ausersehen, zu verschwinden.
Ich konnte mich wegen so vieler Dinge glücklich schätzen.
Das sagte ich mir jeden Morgen, wenn wir die Augen öffneten, und jeden Abend, bevor wir schlafen gingen.
Ich habe Glück. So ein Glück.
Ich war am Leben. Ich war, mit ein paar Einschränkungen, frei. In einem Land, in dem Hybride illegal waren und weggesperrt wurden, waren Addie und ich entkommen. Und ich …
Ich konnte wieder sprechen und mich bewegen. Ich, die ich seit meiner Kindheit gewusst hatte, dass ich die rezessive Seele war, dazu bestimmt, mit der Zeit zu verblassen. Dass meine Eltern im Stillen um mich trauern würden, rasch, um dann nach vorn zu sehen. Dass sie sich einreden würden, es sei nun mal der Lauf der Welt, so sei es schon immer gewesen, und wer wären sie, die Gesetze der Natur infrage zu stellen?
Von Kindern wurde erwartet, ihre rezessive Seele abzustreifen, sich von ihr zu verabschieden, so wie sie eines Tages auch ihre Milchzähne hinter sich lassen würden. Bloß ein weiterer Schritt auf dem Weg hin zum Erwachsenwerden.
Die Alternative, niemals Frieden zu finden – beide Seelen zu erhalten –, hieß, im Chaos immerwährender Kindheit gefangen zu bleiben, niemals den beständigen, logischen Verstand einer Erwachsenen zu entwickeln, der man zutrauen konnte, den eigenen Körper zu kontrollieren. Wie könnte eine Hybride sich je in die Gesellschaft einfügen? Wie könnte sie heiraten? Würde sie in der Lage sein, zu arbeiten, während die zwei Seelen sie in verschiedene Richtungen zerrten, nach unterschiedlichen Dingen verlangten? Hybride zu sein hieß, für immer instabil zu sein, für immer innerlich zerrissen.
Ich war zwölf gewesen, zwei Jahre über der von der Regierung vorgegebenen Frist, als ich mich dem Fluch ergab, der in meinen Genen geschrieben stand. Aber selbst damals hatte ich noch Glück. Ich verlor die Kontrolle über meinen Körper, überließ es Addie, unsere Gliedmaßen zu steuern, aber ich verschwand nie vollkommen.
Es war besser, als zu sterben.
Geht es dir gut, Addie?, fragte Mom die ersten paar Wochen, nachdem ich offiziell für verschwunden erklärt worden war. Sie sprach die Worte aus, als kniffen sie sie auf dem Weg hinaus in die Lippen, als wolle sie sich die Tatsache nicht eingestehen, dass es Addie womöglich noch immer nicht gut ging. Addie sollte schließlich normal sein.
Mir geht es gut, sagte Addie, selbst wenn ich in ihrem Kopf kreischte und kreischte, selbst wenn sie mich festhielt, während sie für unsere Eltern lächelte, und mir sagte, dass es ihr leidtat, und mich anflehte, so okay zu sein, wie sie es angeblich war.
Es waren Hally und Ryan Mullan gewesen, die mich aus dem Gefängnis befreit hatten, das mein eigener Körper darstellte. Wo wäre ich jetzt, wenn Hally Addie nicht
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