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Leben, um davon zu erzählen

Leben, um davon zu erzählen

Titel: Leben, um davon zu erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel García Márquez
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verspürt haben, dass nun endlich die günstige Gelegenheit gekommen war, mir das zu sagen, was zweifellos der tatsächliche Grund ihrer Reise war, und sie begann in der Art und dem Ton und mit den genau bemessenen Worten, die sicher in der Einsamkeit ihrer schlaflosen Nächte gereift waren, lange vor Antritt der Reise.
    »Dein Papa ist sehr traurig«, sagte sie.
    Da war sie also, die ach so gefürchtete Hölle. Meine Mutter begann wie immer dann, wenn man es überhaupt nicht erwartete, und in einem sedierenden Tonfall, den nichts aus der Ruhe bringen würde. Allein des Rituals wegen, denn die Antwort kannte ich nur zu gut, fragte ich:
    »Und warum?«
    »Weil du das Studium aufgegeben hast.«
    »Ich habe es nicht aufgegeben, ich habe nur eine andere Laufbahn eingeschlagen«, sagte ich.
    Der Gedanke an eine grundsätzliche Diskussion machte sie munter.
    »Dein Papa sagt, das ist dasselbe«, sagte sie.
    Ich wusste, dass der Vergleich hinkte, sagte aber:
    »Auch er hat aufgehört zu studieren, um Geige zu spielen.«
    »Das ist nicht das Gleiche«, erwiderte sie lebhaft. »Die Geige spielte er nur auf Festen oder bei Ständchen. Das Studium hat er abgebrochen, weil er nicht einmal genug Geld zum Essen hatte. Aber in einem knappen Monat hat er die Telegrafie erlernt, das war damals ein guter Beruf, besonders in Aracataca.«
    »Ich lebe auch vom Schreiben für Zeitungen«, sagte ich.
    »Das sagst du, damit ich mich nicht gräme«, sagte sie. »Aber in welch schlechter Lage du bist, sieht man dir schon von weitem an. In der Buchhandlung habe ich dich nicht einmal erkannt.«
    »Ich habe dich auch nicht erkannt«, sagte ich.
    »Aber aus einem anderen Grund. Ich dachte, du wärst ein Bettler.« Sie schaute auf meine ausgetretenen Sandalen und fügte hinzu: »Und keine Strümpfe.«
    »Das ist bequemer«, sagte ich. »Zwei Hemden und zwei Unterhosen, eine auf dem Leib, die andere auf der Leine. Was braucht man mehr?«
    »Ein kleines bisschen Würde«, sagte sie, milderte das aber sogleich durch einen anderen Ton ab: »Ich sag es nur, weil wir dich so lieben.«
    »Das weiß ich«, sagte ich. »Aber sag doch mal, würdest du an meiner Stelle nicht das Gleiche tun?«
    »Das würde ich nicht«, sagte sie, »nicht, wenn ich damit meine Eltern verärgern würde.«
    Ich dachte daran, mit welcher Zähigkeit sie den Widerstand der Familie gegen ihre Heirat gebrochen hatte, und lachte:
    »Wag es, mir in die Augen zu sehen.«
    Sie blieb ernst und wich mir aus, weil sie nur zu gut wusste, was ich dachte.
    »Ich habe nicht geheiratet, solange ich nicht den Segen meiner Eltern hatte«, sagte sie. »Ich habe ihn erzwungen, das stimmt, aber ich hatte ihn.«
    Sie unterbrach das Gespräch, nicht weil meine Argumente sie geschlagen hätten, sondern weil sie auf die Toilette wollte und deren hygienischem Zustand misstraute. Ich fragte den Bootsmann, ob es nicht vielleicht einen gesünderen Ort gäbe, er erklärte jedoch, dass auch er den allgemeinen Abort benutze, und schloss, als habe er gerade Conrad gelesen: »Auf dem Meer sind wir alle gleich.« Also unterwarf sich meine Mutter dem allgemeinen Gesetz. Als sie wieder herauskam, konnte sie, anders als ich befürchtet hatte, das Lachen kaum unterdrücken:
    »Stell dir nur vor, was sich dein Papa denkt, wenn ich mit einer Geschlechtskrankheit zurückkomme.«
    Nach Mitternacht lagen wir drei Stunden fest, weil die im Kanal klumpenden Seeanemonen sich in der Schiffsschraube verfangen hatten und wir in einem Mangrovengestrüpp aufgelaufen waren, so dass viele Passagiere das Schiff vom Ufer aus an Hängematteleinen freizerren mussten. Hitze und Stechmücken wurden unerträglich, aber meine Mutter rettete sich mit kleinen Schläfchen darüber hinweg, in die sie ebenso plötzlich versank, wie sie daraus wieder erwachte, und die in der Familie berühmt waren, da sie meiner Mutter erlaubten auszuruhen, ohne den Faden des Gesprächs zu verlieren. Als das Schiff Fahrt aufnahm und eine frische Brise hereinwehte, war sie wieder hellwach.
    »Wie auch immer«, seufzte sie, »irgendeine Antwort muss ich deinem Papa bringen.«
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte auch ich voller Unschuld. »Ich komme im Dezember und werde ihm dann alles erklären.«
    »Bis dahin sind es noch zehn Monate«, sagte sie.
    »An der Universität kann man in diesem Jahr sowieso nichts mehr regeln«, meinte ich.
    »Versprichst du, wirklich zu kommen?«
    »Ich verspreche es«, sagte ich. Und nahm zum ersten Mal eine gewisse Unruhe in ihrer

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