Lebens-Mittel
höheren Lebenserwartung waren viele dieser sogenannten Zivilisationskrankheiten vor hundert Jahren längst nicht so verbreitet – und treten selten an Orten auf, an denen die Menschen nicht so essen wie wir.
Bei jeder Erörterung von Ernährung und Gesundheit geht es natürlich um den »Elefanten im Wohnzimmer«: die »westliche Ernährung«. Mit ihr beschäftige ich mich im zweiten Teil des Buches, in dem ich die Geschichte der radikalsten Veränderung des menschlichen Ernährungsverhaltens seit der Entdeckung der Landwirtschaft skizziere. Denn alle Unsicherheiten in Bezug auf die Ernährung sollten nicht die eindeutige Tatsache vernebeln, dass die Spur jener chronischen Krankheiten, die heute die meisten von uns umbringen, sich direkt auf die Industrialisierung unserer Nahrung zurückführen lässt: die Zunahme von stark bearbeiteten Nahrungsmitteln und Auszugsmehlen, die Verwendung chemischer Substanzen bei der Aufzucht von Pflanzen und Tieren in riesigen Monokulturen, die Überfülle billiger Kalorien aus Zucker und Fett, die von der modernen Landwirtschaft produziert werden, und die Verminderung der biologischen Vielfalt in der menschlichen Kost auf kaum eine Handvoll Hauptgetreide, insbesondere Weizen, Mais und Soja. Diese Veränderungen haben uns jene westliche Ernährung beschert, die wir für selbstverständlich halten: viele weiterverarbeitete Nahrungsmittel und Fleischwaren, viele Fettund Zuckerzusätze, viel von allem – außer Gemüse, Obst und vollwertigen Getreiden.
Dass eine solche Ernährung Menschen krank und dick macht, wissen wir schon lange. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts beobachtete eine unerschrockene Gruppe europäischer Ärzte und medizinisch Tätiger, dass überall da auf der Welt, wo Menschen ihre traditionellen Essgewohnheiten aufgaben und die westliche Ernährung übernahmen, bald eine vorhersehbare Reihe westlicher Krankheiten die Folge war, darunter Fettleibigkeit, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Sie bezeichneten sie als Zivilisationskrankheiten, und obwohl die genauen Wirkmechanismen unklar waren (und sind), hatten diese Beobachter kaum Zweifel an der gemeinsamen Herkunft dieser chronischen Krankheiten: die westliche Ernährung.
Die traditionellen Ernährungsformen, die von den neuen westlichen Nahrungsmitteln ersetzt wurden, waren zudem ausgesprochen mannigfaltig: Manche Völker gediehen bei Ernährungsformen, die wir fettreich, fettarm oder kohlenhydratreich nennen würden; rein tierisch oder rein pflanzlich waren; es gab sogar traditionelle Ernährungsformen, deren Basis jedes nur vorstellbare intakte Lebensmittel war. Das weist darauf hin, dass das menschliche Tier an sehr viele verschiedene Ernährungsformen gut angepasst ist. Die westliche Ernährung indes gehört nicht dazu.
Das ist eine einfache, aber entscheidende Tatsache im Hinblick auf Ernährung und Gesundheit, aber merkwürdigerweise kann der Nutritionismus sie nicht sehen – wahrscheinlich weil er sich parallel zur Industrialisierung unserer Nahrung entwickelte und sie deshalb für selbstverständlich hält. Der Nutritionismus bastelt lieber an der westlichen Ernährung herum, reguliert die verschiedenen Nährstoffe (reduziert den Fettgehalt, fährt das Protein hoch) und fördert die weiterverarbeiteten Lebensmittel, statt deren Wert an sich in Frage zu stellen. In gewisser Weise ist der Nutritionismus die offizielle Ideologie der west lichen Ernährung, und deshalb kann man von ihm nicht erwarten, sie radikal oder neugierig zu hinterfragen.
Aber wir können es. Wenn wir das Wesen der westlichen Ernährung besser begreifen – wenn wir versuchen, sie nicht nur physiologisch, sondern auch historisch und ökologisch zu verstehen -, können wir zu unserer Nahrung eine andere Einstellung entwickeln, und die könnte uns aus unserem Dilemma herausführen. Zwei handfeste – und überraschend hoffnungsvolle – Fakten dienen uns dabei als Wegweiser: Erstens waren, historisch gesehen, Menschen mit den verschiedensten Ernährungsformen gesund; zweitens kann der Schaden, den die Industrialisierung unseres Essens an unserer Nahrung und an unserer Gesundheit angerichtet hat, weitgehend umgekehrt werden. Einfach gesagt: Wir können der westlichen Ernährung und ihren Folgen entkommen.
Das ist der Grundgedanke des dritten und letzten Teils dieses Buches : Ich schlage rund ein Dutzend Ernährungsregeln vor, die nicht nur gesünder machen, sondern auch den Genuss am Essen vermehren – zwei Ziele, die sich
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