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Lebenslügen / Roman

Lebenslügen / Roman

Titel: Lebenslügen / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Einkaufen, Reggie, willst du mitkommen?« Oder: »Hast du Lust, Blutsbrüder im Playhouse zu sehen?« Nein und nein. Das Fest ist nun zu Ende. Ha.
    An der wahrsagenden Sandra war nichts Überirdisches gewesen. Eine füllige Anwaltssekretärin in den Fünfzigern mit einer rosaroten Strickjacke mit Schalkragen, zusammengehalten von einer Gemme aus Koralle. Die Toilettenartikel in ihrem Bad waren alle »Gardenie« von Crabtree and Evelyn’s, genau zweieinhalb Zentimeter vom Rand des Regals aufgereiht, als stünden sie noch immer zur Ansicht im Geschäft.
    »Dein Leben wird sich verändern«, sagte Sandra zu Mum. Sie täuschte sich nicht.
    Auch jetzt glaubte Reggie noch manchmal, den eklig süßen Duft der Gardenien zu riechen.
    Dr. Hunter war Engländerin, hatte jedoch in Edinburgh Medizin studiert und die Grenze nach Süden nie wieder überschritten. Sie arbeitete vormittags ab halb neun als Allgemeinärztin in einer Praxis in Liberton, weswegen Mr. Hunter die »Frühschicht« mit dem Baby übernahm. Reggie kam um zehn und blieb, bis Dr. Hunter um zwei nach Hause zurückkehrte (meistens war es fast schon drei. »Ich arbeite Teilzeit, es fühlt sich aber an wie Vollzeit«, sagte Dr. Hunter und seufzte), und Reggie blieb bis um fünf, und das war die beste Zeit des Tages, weil sie mit Dr. Hunter zusammen war.
    Die Hunters hatten einen 40-Zoll-Flachbildschirm, auf dem sie Balamory- DVD s mit dem Baby anschaute, obwohl es schon bei der Erkennungsmelodie einschlief, auf dem Sofa an Reggie gekuschelt wie ein Äffchen. Sie war erstaunt, dass Dr. Hunter es fernsehen ließ, aber Dr. Hunter sagte: »Ach, warum nicht? Hin und wieder, was kann es schaden?« Reggie meinte, dass es nichts Schöneres gab als ein Baby, das auf einem einschlief, außer vielleicht einem Kätzchen oder einem Welpen. Sie hatte einen Welpen gehabt, aber ihr Bruder hatte ihn aus dem Fenster geworfen. »Ich glaube nicht, dass er es mit Absicht getan hat«, sagte Mum, aber es war nicht gerade etwas, was man aus Versehen tat, und das wusste Mum. Und Reggie wusste, dass Mum es wusste. Mum sagte immer: »Billy ist eine Plage, aber er ist unsere Plage. Blut ist dicker als Wasser.« Und auch wesentlich klebriger. Der Tag, an dem der Welpe durch das Fenster flog, war der zweitschlimmste Tag in Reggies bisherigem Leben. Der Tag, an dem sie von Mum erfuhr, war der schlimmste. Klar.
    Dr. und Mr. Hunter wohnten in einer wirklich hübschen Gegend von Edinburgh, mit Blick auf Blackford Hill, in jeder Beziehung weit entfernt von der Schuhschachtel im dritten Stock in Gorgie, in der Reggie jetzt, da Mum nicht mehr da war, allein wohnte. Zwei Busfahrten, aber das machte Reggie nichts aus. Sie saß immer oben und schaute in die Häuser anderer Leute und fragte sich, wie es wäre, darin zu leben. Zurzeit kam noch der zusätzliche Bonus hinzu, durch die Fenster die ersten Weihnachtsbäume zu entdecken. (Dr. Hunter sagte immer, dass die einfachen Freuden die besten waren, und sie hatte recht.) Außerdem konnte sie Hausaufgaben machen. Sie ging nicht mehr in die Schule, aber sie lernte weiterhin nach dem Lehrplan. Englische Literatur, Altgriechisch, Geschichte des Altertums, Latein. Alles, was tot war. Manchmal stellte sie sich vor, Mum würde Latein sprechen (Salve, Regina), was unwahrscheinlich war, um es vorsichtig auszudrücken.
    Da sie keinen Computer besaß, bedeutete das natürlich, dass Reggie viel Zeit in den öffentlichen Bibliotheken und in Internetcafés verbringen musste, aber das war in Ordnung, weil im Internetcafé niemand »Regina reimt sich auf Vagina« zu ihr sagte, im Gegensatz zu der schrecklichen piekfeinen Schule, in die sie gegangen war. Bis er seinen letzten Atemzug tat, durfte Reggie Ms MacDonalds uralten Dinosaurier von einem Hewlett-Packard benutzen. Er war zu Anbeginn der Zeit gekauft worden – Windows 98 und ein analoger AOL –Internetzugang –, und sich einwählen war eine schwere Übung in Geduld.
    Reggie selbst hatte eine kurze Zeit ein MacBook besessen, mit dem Billy letztes Weihnachten aufgetaucht war. Ausgeschlossen, dass er es in einem Laden gekauft hatte, das Konzept des Einzelhandels war Billy fremd. Sie hatte darauf bestanden, dass er Weihnachten mit ihr verbrachte (»unser erstes Weihnachten ohne Mum«). Sie machte einen Truthahn mit allem Drum und Dran, flambierte sogar den Nachtisch mit Brandy, aber Billy hielt nur bis zur Rede der Queen durch, dann sagte er, er müsse irgendwo hingehen und was erledigen, und Reggie

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