Lehrerzimmer
lassen, hatte aus den Materialien einen detaillierten
Stoffverteilungsplan erstellt und die komplette erste Einheit von dreizehn Schulstunden plus Puffer samt Klausur und Lösungserwartung in meinem Ordner zu Hause sauber
abgeheftet. Das beruhigte mich, das gab mir ein wenig von der Sicherheit, die ich brauchte, um den ersten Schultag zu überstehen. Und für die allererste Schulstunde, die wichtigste Stunde im Laufe des Schuljahres überhaupt, die Stunde, die, wie man mir gesagt hatte, sich in die Köpfe der Schüler einbrennen und darüber entscheiden würde, in welche
Kategorie Lehrer sie mich auch in Zukunft einordneten, für diese Stunde also hatte ich ein ganzes Wochenende geschuftet, hatte vier Methodenwechsel eingebaut und eigens einen
Einstieg neu kreiert, der sich mit jedem
Prüfungslehrprobeneinstieg hätte messen können. Ich warf nun dem Mann am Akkordeon etwas Geld in die Mütze und ging los. Ich hatte die Nacht kaum schlafen können und sah
reichlich mitgenommen aus, als ich mich im Glas der
Eingangstür spiegelte. Da tauchte aus dem Tiefgaragenausgang ein älterer Mann mit Schultasche auf, sein Gesicht hing ein wenig herab, er nickte mir kurz zu, war schon an mir
vorbeigegangen, drehte sich dann aber um und fragte mich träge: Erster Schultag? Ich nickte. Wir traten gemeinsam durch die Tür. Nebeneinander stiegen wir die Treppe hoch. Krämer, sagte er, Oberstudienrat. Kranich, sagte ich, Studienassessor.
Noch sieben Wochen, sagte er. Ich sah ihn fragend an, aber er stierte nur auf die nächste Treppenstufe.
Das Sekretariat lag genau in der Mitte zwischen dem Büro des Direktors und dem seines Stellvertreters. Herr Kranich, empfing mich die erste Sekretärin, gut, dass Sie so früh da sind, Sie sollen sofort zum Stellvertreter kommen. Ich klopfte, Herr Bassel bat mich herein, er zeigte auf einen Stuhl, und ich setzte mich. Ich bin noch keine zehn Minuten im Büro,
schnaufte Bassel, da ruft schon der Erste an und meldet sich ab. Für die ganze Woche. Erkältet! Als ob das ein Grund wäre zu fehlen! Und gleich die ganze Woche! Woher will der jetzt schon wissen, rief Bassel, wie lange die Erkältung dauert?
Kranich, ich geb Ihnen einen guten Rat, gleich zu Beginn: Bleiben Sie gesund! Und sollten Sie doch einmal krank
werden, schleppen Sie sich trotzdem her! Ein kranker Lehrer ist besser als gar keiner. Unterrichtsausfall, sagte Bassel und verzog das Gesicht. Wissen Sie, wie viel Zeit ich hier täglich mit dem Erstellen des Vertretungsplans vergeude? Einmal, sagte Bassel, ein einziges Mal nur in meiner Laufbahn als Stellvertreter habe ich einen Zettel ans Schwarze Brett gehängt, auf dem alles weiß war, ein schönes, herrliches, strahlendes Weiß, keiner krank, keiner in Sonderurlaub, keiner auf diesen unnützen, zeitraubenden, Unterrichtsausfall fördernden Fortbildungen, alle waren sie da, alle, es war der 17. Oktober 1991, das weiß ich noch wie heute, ich habe das Blatt noch, es muss irgendwo hier liegen, soll ich es Ihnen zeigen, es ist eigentlich nur ein unbeschriebenes weißes Blatt mit nichts drauf, ach was, Kranich, wir müssen uns beeilen, ich zeige es Ihnen ein andermal. Was ich Ihnen eigentlich sagen wollte, Kranich, ist Folgendes: Sie selbst sind ja bereits, ohne es zu wissen, ein Opfer dieser kranken Lehrersubjekte
geworden. Herr Beuten ist für das nächste halbe Jahr außer Gefecht, Bandscheibenvorfall, lächerlich, als ob man nicht auch im Sitzen unterrichten könnte, die Schule ist ja für Rollstuhlfahrer ausgerichtet. Aber diese kriminellen Ärzte haben ihn krankgeschrieben. Und das Oberschulamt hat eine Krankheitsvertretung mit falscher Fächerkombination
geschickt. Ich musste den Stundenplan ändern, und Sie, Kranich, haben dabei die 11b verloren. Stattdessen
übernehmen Sie die 10d. Das ist eine Ehre übrigens, denn dort sitzt der Sohn des Direktors, persönlich, und die Klasse mit dem Sohn des Direktors kriegt im Allgemeinen nur die
allerbesten Lehrer, in Ihrem Fall muss sich das erst noch rausstellen, der Direktor scheint ja keine besonders hohe Meinung von Ihnen zu haben, ist ja egal, was ich sagen will, 10d statt 11b, die erste Stunde ist schon heute, Lehrwerk Klett, erste Fremdsprache, 19 Schüler, nur die Besten, sieben von ihnen sind zweisprachig erzogen, die werden sich jeden Fehler notieren, den Sie machen, bei mehr als zwei Fehlern pro Stunde kann das negative Auswirkungen auf Ihre Beurteilung haben, aber das nur in Klammern, was ich sagen will, ist, das
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