Leiche in Sicht
holte der Arm aus und schlug mit der ganzen Kraft von
Wut und Verzweiflung zu, um ihn für immer zum Schweigen zu bringen. Mr. Pringle
fiel in einen dunklen Schacht, und keine Hand streckte sich aus, um ihn
aufzufangen.
Sie schleppten ihn in die Sakristei,
gossen ihm Wasser ins Gesicht und verschlossen die Tür, um ihn vor Enid zu
beschützen. Er kam halbwegs wieder zu Bewußtsein. Die auf ihn eindringenden
Realitätssplitter erlebte er als schmerzhaft, doch die Dunkelheit, aus der er
zurückgekehrt war, erschreckte ihn noch mehr. Er hatte das Knacken seines
Wangenknochens noch im Ohr, sein Gesicht war geschwollen, und er spürte eine
unendliche Trauer. Von draußen hörte er Rufen und Schreien, doch er achtete
nicht darauf.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich
dort, wo der Wasserkrug umgefallen war, ein großer schwarzer Fleck ausbreitete.
Ein kleines Schildchen auf dem Krug verkündete: Nur für Altarblumen! Die
einzelnen Buchstaben waren für ihn nur verschwommen erkennbar; Matthews Fausthieb
hatte seine Brille zertrümmert.
Als sie ihn hinaustrugen zum
Krankenwagen, wurde ihm wieder schwindlig. Kameras klickten, die «wichtigen
Leute» standen und glotzten, doch er konnte zum Glück nicht viel sehen. Er
dachte daran, daß niemand ihm für das, was er getan hatte, danken würde. Er
würde für immer ein Ausgestoßener sein — ein Judas!
Seine Nase war so geschwollen, daß er
nur schnaufend atmen konnte. Er hatte sie um Elizabeths willen verraten, dachte
er, aber Verrat war es trotzdem. Vor diesen unseligen Ferien hatten er und
seine Familie zwar gleichgültig füreinander, aber doch in Frieden gelebt. Er
begann zu zittern. Man packte ihn in eine Alufolie. Von irgendwo hörte er den
Satz: «Er steht unter Schock.» Aber er selbst wußte es besser.
Eine befehlsgewohnte Frauenstimme sagte
zu ihm: «Ganz ruhig, ganz ruhig, es tut nicht weh», und dann bekam er eine
Spritze. Verglichen mit dem Schmerz im Wangenknochen war es wirklich nicht mehr
als ein harmloser Pikser. Im übrigen war ihm inzwischen sowieso alles egal. Er
glitt in einen tiefen Schlaf.
Kapitel 32
Beim Aufwachen spürte er Schmerz, aber
nicht unmittelbar, sondern wie durch eine Decke gedämpft. Doch als er sich
bewegte, durchfuhr es ihn wie eine scharfe Klinge, und zugleich kehrte auch die
Erinnerung zurück an das, was er getan hatte. Sein Bett stand etwas abseits,
außerhalb des Lichtkreises in einer dunklen Ecke. Das Stöhnen der anderen
Patienten drang nur wie aus weiter Feme an sein Ohr. Unvermittelt tauchten
plötzlich zwei dunkle Schatten neben ihm auf, der eine beugte sich zu ihm
herunter und sprach ihn an.
«Man hat mir gesagt, daß Ihnen das
Sprechen schwerfallen würde. Deshalb halten Sie Ihre Antworten ruhig kurz, wir
haben ohnehin nicht viele Fragen.» Der Detective Inspector und sein Sergeant
zogen sich Stühle heran, dabei stieß der Sergeant versehentlich ans Bett. Mr.
Pringle wollte sich auf die Lippen beißen, aber sein Verband erlaubte das
nicht.
«Ich habe hier Ihre zweite Aussage,
Sir. Wenn ich es recht verstanden habe, so zogen Sie die erste zurück, weil Sie
inzwischen zu der Überzeugung gelangt waren, daß es nicht Miss Hurst war, die
Sie in Parga gesehen hatten, nicht wahr?»
Die Hochzeit, sein Auftreten in der
Kirche und alles, was dann folgte — es wäre zu verhindern gewesen. Und jetzt
kam derselbe Mann, trat an sein Bett und begann — als wäre nichts geschehen — erneut
an demselben Punkt, wo sie bei seinem zweiten Besuch im Revier schon einmal
gestanden hatten.
«Ja», murmelte er, so gut es ihm seine
geschwollenen Lippen erlaubten.
«Und wen, glauben Sie, haben Sie in
Parga gesehen?»
«Emma Fairchild. Sie trug das Kleid,
das ich für Elizabeth gekauft hatte.»
«Ich verstehe. Und wann haben Sie Ihrer
Meinung nach Miss Hurst zum letztenmal gesehen?»
«Als sie in Levkas das Restaurant
verließ.»
«In Ihrer Aussage geben Sie an, daß
Miss Hurst beim Verlassen des Restaurants von Mrs. Clarke und Miss Emma
Fairchild gestützt wurde, und äußern außerdem die Vermutung, daß Miss Hursts
Übelkeit nicht nur auf den Genuß von zuviel Alkohol, sondern auch auf
irgendwelche Tabletten zurückzuführen gewesen sei.»
«Ja. Die hatten sie von Louise
gestohlen.» Und zwei, drei weitere Tabletten, da war er sicher, hatten sich in
dem Whisky-Rest befunden, den er, bevor er zum Barbecue aufgebrochen war,
getrunken hatte. Stand das auch schon in seiner Aussage? Wenn er sich doch
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