Leiche in Sicht
vielleicht nehmen sie mich nicht ernst», sagte er verzweifelt. «Vielleicht liegt da das Problem. Sie
halten mich vermutlich für einen lächerlichen alten Trottel, der sich in Sachen
einmischt, von denen er nichts versteht. Sieh mich an! Findest du etwa, daß ich
besonders beeindruckend aussehe?!» Mavis hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu
bringen.
«Bist du dir selbst deiner Sache
sicher, Lieber?»
«Ja, natürlich. Ich habe alles wieder
und wieder überprüft, so lange, bis ich schon nicht mehr wußte, wo oben und
unten war. Der einzige Punkt, an dem ich keine Gewißheit habe, betrifft den
medizinischen Befund. Der Pathologe wollte mir keine Auskunft geben —
Vorschriften. Aber wenigstens hat er meiner Theorie nicht widersprochen.»
«Es wäre besser gewesen, wenn er sie
dir ausdrücklich bestätigt hätte», sagte Mavis.
«Nun, dafür habe ich doch immerhin die
Aussage von Donna Hanson», sagte er trotzig und auch ein wenig stolz. Sie kaute
nachdenklich an ihrer Unterlippe. Es stimmte schon, er wirkte wirklich nicht
besonders beeindruckend — nicht auf den ersten Blick. Er war ordentlich
angezogen, aber nicht besonders schick. Man konnte ihn leicht für einen lieben,
etwas naiven älteren Herrn halten — bis er redete! Aber wenn er sich seiner
Sache sicher war, dann gab er nicht nach, nicht einen Zentimeter, das wußte sie.
«Wie ist denn diese Donna?» fragte sie.
«Hältst du sie für eine vertrauenswürdige Zeugin?»
«Sie hat bunte Strähnen in den Haaren
und ist offenbar in einem schwierigen Alter. Aber sie hat ohne mein Zutun genau
das gesagt, was ich erwartet hatte.» Mavis seufzte. Ein Punk-Mädchen und ein
harmloser älterer Herr, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte... nicht
gerade ein starkes Team!
«Glaubst du, daß der Mord an Elizabeth
und der an Roge von ein und derselben Person begangen wurden?» wollte sie
wissen.
«Ich denke, bei Roge waren sie zu
zweit.» Dies genau war die Frage, die zu beantworten er sich immer gescheut
hatte. «Anders kann ich es mir jedenfalls nicht vorstellen. Sie haben
vermutlich dieselbe Methode angewandt, aber im Gegensatz zu Elizabeth war Roge
ja nicht arglos ihnen gegenüber.»
«Ach, mein Lieber, wie furchtbar...»
sagte sie mit Trauer in der Stimme.
Sie saßen beieinander und hielten sich
eng umschlungen. Draußen wurde es dunkel, doch keiner von beiden machte Licht.
Sie waren wie zwei Menschen, die gerade einen frischen Verlust erlitten hatten
und nun wider alle Vernunft hofften, daß der Zeiger der Uhr sich würde
zurückstellen lassen. Irgendwann sagte sie: «Ich wünschte, ich hätte dich nie
überredet mitzufahren.»
«Aber daran läßt sich nun nichts mehr
ändern. Und das Mindeste, was ich tun kann, ist, Elizabeth nicht auch jetzt
noch zu verraten. Schließlich habe ich ja — wenn auch unwissentlich — meinen
Teil dazu beigetragen, die Dinge zu verschleiern. Zugegeben: Wenn nicht mich,
dann hätten sie vermutlich einen anderen Trottel für ihre Zwecke gefunden, es
gibt ja genug davon.»
«Bitte, Lieber, werde nicht bitter»,
sagte sie leise. Sie gingen zu Bett, doch beide konnten eine ganze Weile nicht
einschlafen.
«Wenn du morgen bei der Polizei nichts
herausbekommst, was wirst du dann tun? Ich meine — wegen der Hochzeit?»
«Dann muß ich handeln, wie ich es für
richtig halte.» Mavis war innerlich zu bewegt, um sprechen zu können. Sie holte
ein paarmal tief Luft.
«Möchtest du, daß ich am Samstag
mitkomme?»
«Nein, vielen Dank. Lieber nicht.»
Vielleicht würde Gott in seiner Güte ihm verzeihen, aber sicherlich nur dann,
wenn er nicht noch ein zweites Mal eine Konfrontation zwischen Mavis und Enid
zuließe. Nicht in einer Kirche.
Kapitel 31
Ungeachtet der kurzfristigen
Ankündigung war die Presse in voller Stärke vertreten. Einigen der
Boulevardblätter war es sogar eine Schlagzeile wert gewesen: ENDLICH DAS GLÜCK!
Mr. Pringle fühlte sich elend. Fast den ganzen Freitag über hatte sich sein
Magen bemerkbar gemacht, er hatte seine zweite schlaflose Nacht hinter sich,
und heute morgen waren er und Mrs. Bignell sogar aneinandergeraten.
«Da beklagst du dich die ganze Zeit bei
mir, daß sie dich nicht ernst nehmen, weil du nicht imposant genug aussiehst,
und dann gehst du nicht einmal zum Friseur.» Schließlich einigten sie sich auf
einen Kompromiß. Sie lieh sich seine Brille und stutzte ihm im Nacken die
abstehenden Haare.
Das kalte Gefühl des Stahls auf seiner
Haut ließ ihn innerlich
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