Leichenroulette - Roman
gestalteten sich daher eher trist. Nicht einmal der stimmungsvolle Adventsmarkt im Ehrenhof des Schlosses Schönbrunn, wo wir am Fuß der imposanten Freitreppe zu weihnachtlichen Klängen einen oder mehrere Sisi-Punschs tranken, heiterten uns richtig auf. Aber zwischen meiner Freundin und mir herrschte wieder die alte Vertrautheit.
Alles war wie früher. Wirklich alles? Manchmal kam es mir vor, als ob mich Mizzi in unbeobachteten Momenten mit seltsam lauernden Blicken musterte. Vielleicht war es aber auch nur Einbildung. Auf jeden Fall dachte keine von uns daran, die einst so lustigen »Viennese trips for two« wieder aufzunehmen. Die dafür nötige Leichtigkeit war uns abhanden gekommen.
Die kleinen, spannenden Nervenkitzel aus meiner sparsamen Lebensphase fehlten mir trotzdem sehr. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als eigene Wege zu gehen. Ich trug meinem Verlangen Rechnung, schlich in der Cavaliersbar des Hotels Imperial auf die Toilette und nahm dort kleine Gästehandtücher aus Frottee an mich, für die ich keinerlei Verwendung hatte. Ich raubte Kleinigkeiten, wie Minischokoladen aus dem Supermarkt, und ging dazu über – wie ich es früher regelmäßig getan hatte – mich in Parfümerien zu schminken. Bei Regenwetter stellte ich mich an den Straßenrand, notierte mir die Nummern knapp vorbeizischender Autos und zeigte Lenker mit dem Hinweis auf meine ruinierte Garderobe an. Nach Flugreisen – ab und zu machte ich eine kleine Städtereise zum Wochenende – führte ich eine lange Korrespondenz um die Entschädigung von – wie ich log – beschädigten Gepäckstücken.
An manchen Tagen steckte ich nur zehn Schilling in meine Geldbörse und bestritt mit dieser winzigen Summe, unterstützt von allerlei Tricks, mein Essen. Ich nahm Gratiskostproben im Supermarkt und an den Ständen am Naschmarkt. Bei »Billa« riss ich verstohlen Packungen auf und konsumierte den Inhalt an Ort und Stelle. Allmählich kehrten wieder etwas Farbe, Leichtigkeit und Spannung zurück in mein Leben, das dabei gewesen war, in Monotonie zu versinken. Ich gab mich diesen kleinen Eskapaden selbstverständ lich nicht aus finanzieller Not hin, denn mein Vermögen wuchs an; ich hatte, wie Börsianer zu sagen pflegten, ein »goldenes Händchen«, was Aktien anbetraf.
Zur Abwechslung fuhr ich sogar an einem Wochenende nach D., wo ich mit Flo so glückliche Stunden verbracht hatte. Doch im tiefen, nebeligen Winter mit grau verhangenem Himmel, ohne Sonne und vor allem ohne die »Zuagrasten«, bot das Städtchen ein trauriges und bedrückendes Bild. Am Wirtshaus, das den Besitzer gewechselt hatte, hing ein Schild: »Wegen Kälte geschlossen«. Ich stapfte eine Weile im Schneematsch herum, bis mir die Nässe in den Stiefeln unangenehm wurde. Fröstelnd nahm ich im Café Platz. Ich war der einzige Gast des Menschenfeindes, der mir auf die Frage »Wie geht’s Ihnen denn immer so?« griesgrämig antwortete: »Na ja, g’sund san ma halt!«, als ob er schwere Krankheiten herbeisehnte.
Gesprächig wurde er erst, als er mir seine Pläne für die nächste Fremdenverkehrssaison enthüllte. »Die Zimmer kosten jetzt bei mir 300 Schilling pro Nacht, nimmer 200. Ich hab nix zum Verschenken. Und vermieten tu ich nur mehr für drei Tage, Minimum! Wer net will, soll daham bleibn.« Wie er auf diese Weise seine schon bisher wenig ausgelastete Herberge füllen wollte, erklärte er nicht.
Ich kaufte mir im Lebensmittelgeschäft am Hauptplatz noch eine Semmel mit warmem Leberkäs, aß sie, während ich zum Auto ging, und fuhr enttäuscht nach Wien zurück.
Zwei Wochen nach unserer Versöhnung bat mich Mizzi um einen kleinen Geldbetrag. »Mein Ex zahlt seine Alimente nicht regelmäßig. Kannst du mir bis zum nächsten Ersten aushelfen?« Ich sprang gern ein. Da wir beide einsam waren – Mizzis Sohn gönnte sich von seinem Arbeitslosengeld einen Sex-Urlaub in Thailand, ihre Tochter hatte die lang ersehnte Einladung der Familie ihres Freundes erhalten –, beschlossen wir, den Heiligen Abend zu dritt in meinem Häuschen zu feiern.
Ich traf alle Vorbereitungen, besorgte für meine Freundin einen Kaschmirschal, für Murli eine Portion Lachs, schmückte einen kleinen Christbaum und kauf te eine Weihnachtsgans. Als Höhepunkt des Fest mahls sah ich eine saftige, köstliche Waldviertler Mohn torte vor, von der Art, wie ich sie von einer Großtante her kannte. Am Tag vor dem Heiligen Abend ging ich an die Zubereitung der Köstlichkeit. Ich
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