Leichenroulette - Roman
langer Hand geplanten unerhörten Luxus – das berühmte Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker, den gesellschaftlichen und musikalischen Höhepunkt der beginnenden Saison im Wiener Musikverein. 300 000 Menschen aus aller Herren Länder bewarben sich jedes Jahr um 1300, teils sogar durch das Los vergebene, Plätze im »güldenen« Saal, der traditionellen Heimstatt der Philharmoniker. Mir selbst war es erst nach vielen gescheiterten Versuchen gelungen, eine der heiß begehrten Karten zu einem sagenhaften Preis auf dem Schwarzmarkt zu bekommen.
Mindestens 100 Millionen Zuschauer verfolgen jedes Mal das von einem Stardirigenten geleitete und von Fernsehstationen in die ganze Welt übertragene Konzert. Ich saß in der vordersten Reihe einer Loge im ersten Stock, das wunderbare Ereignis überwältigte mich. Der Klang sich einstimmender Instrumente erfüllte den Raum. Welche Atmosphäre, welche Roben, welch festlicher Rahmen. Welche Prominenz! Berühmte Schauspieler, altbekannte Politiker, namhafte Künstler. Ältliche Industriekapitäne zeigten sich ebenso an der Seite schöner, junger Damen, genau wie derbgesichtige, breitschultrige Männer, in denen ich musikalische Drogenbosse vermutete. Zarte Japanerinnen trippelten in traditionellen, kostbaren Festtagskimonos herbei.
Ich war natürlich auch sehr elegant gekleidet, aber leider ohne Begleitung. Könnten doch Flo und Dr. Wegner – ich vermutete beide in der Hölle – herauflugen und mich in meinem Glanz sehen oder Poldi mich vom Fegefeuer aus beobachten. Der Gedanke ließ mich schmunzeln. Dann hob der mit Ovationen empfangene Dirigent seinen Taktstock, es wurde ganz still. Wahrlich überirdische Klänge entführten mich in eine Sphäre der Seligkeit, ja der Wollust. Altbekannte Melodien, dargeboten vom wahrscheinlich besten Orchester der Welt, erzeugten in meinem Inneren eine unbeschreibliche Wonne. Ich schwebte im siebenten Himmel. Der »Pizzicato-Polka« von Joseph und Johann Strauss folgte die heitere »Tritsch-Tratsch-Polka«, das »Plappermäulchen« und der »Künstlergruß«. Die »Champagner-Polka« ließ die Herzen des Auditoriums höher schlagen, und der »Champagner-Galopp« bewog selbst ältere Herrschaften, sich verstohlen im Takt zu wiegen. Dem Walzer »An der schönen blauen Donau« folgte lang anhaltender Jubel. Die Wiener Philharmoniker, jeder von ihnen ein Star, erhoben sich feierlich gemessen von ihren Plätzen und wünschten samt ihrem Dirigenten »Ein Prosit Neujahr«. Der von einem internationalen Publikum mit enthusiastischem Mitklatschen begleitete Radetzkymarsch beendete das Programm.
Als veränderter Mensch, aufgeputscht und in dem Bewusstsein, eine wichtige Mission im Dienste der Gerechtigkeit erfüllen zu müssen, verließ ich hocherhobenen Hauptes den Konzertsaal. Was für ein Glück, in dieser herrlichen Stadt leben und zudem nachhaltig wirken zu dürfen. Warm in meinen flauschigen Mantel aus Kunstpelz gehüllt – eine Tierliebhaberin trägt keinen Nerz – trat ich ins Freie.
Die Zukunft hatte ihren Schrecken für mich verloren.
Ich war mir ganz sicher: Meine kreative Fantasie würde mich nicht verlassen, dafür jedoch – vielleicht, wer weiß – Dr. S. und Mizzi! Im Vertrauen auf meine Fähigkeiten und ein gnädiges Schicksal stellte ich mich den Aufgaben des noch jungen Jahres: »Man kann nie wissen, was passiert!«
Glossar
Glossar
aufgemascherlt festlich gekleidet
Ausnahm Altenteil
Ausnahmstüberl Wohnort des Altbauern,
nachdem die Kinder den Hof übernommen haben
Ausspeisung Versorgung mit Essen, Armenspeisung
Badewaschl Bademeister, aber auch Waschlappen
Bassena öffentliche Wasserstelle in einem Mietshaus
Besoldung Beamtenbezüge
Bettgeher Mieter für eine Schlafstelle
Deka Abkürzung für ein Dekagramm,
entspricht zehn Gramm
Dusel Rauschzustand
Einspänner österreichische Kaffeespezialität:
ein kleiner Espresso mit Sahnehaube und Puderzucker
Flinserl silberne Ohrstecker
G’schpritzter Weinschorle
Grammelknödel Knödel, die mit gewürfeltem
Schweinespeck gefüllt sind
Gschrappn verächtlicher Ausdruck für kleine Kinder
Haxlstellen ein Bein stellen
Hendlstiege schmale Treppe
Jause Imbiss
Kleiner Brauner österreichische Kaffeespezialität:
ein kleiner Espresso mit Kaffeesahne
Körberlgeld Nebeneinkommen
Lavur Waschschüssel (von frz. lavoir)
Mauner Männer, hier: Freier
Melange österreichische Kaffeespezialität:
ein kleiner Espresso mit Milch und Milchschaum
Parte
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