Leichensache
Straßenlaternen glänzen in Intervallen auf ihren roten Lippen, sie ist reichlich und gekonnt geschminkt. Im Gesicht sieht man ihre zehn Kilo zu viel gar nicht.
»Was ist überhaupt passiert?« Ihre Hand fährt durch die kurzen, roten Haare. Kurzer Lagebericht. Sie stellt noch ein paar Fragen, bekommt ein paar Antworten. Eine hektische Stimme am Funk bellt dazwischen. Der 11/32 hat einen Mann in der Nähe vom Bahnhof aufgegriffen und fragt, in welchem Fahrzeug die Zeugin sitzt.
Genauso habe ich mir das vorgestellt.
»Hier ist der 88/10, macht jetzt bloß keine Gegenüberstellung auf der Straße. Bringt beide ins Präsidium, aber passt auf, dass die sich auf keinen Fall sehen.«
Ein gequälter Blick zu Ulla.
Sie zieht die Schultern hoch. »Die lernen’s nie.«
Der Notarztwagen steht halb auf dem Bürgersteig, die Sanitäter rauchen gelangweilt.
»Die Ärztin ist noch drin.«
Nachbarn stehen in Bademänteln und Jogginganzügen unter Schirmen in den Gärten und palavern. Der Regen hat aufgehört. An der Tür zur Parterrewohnung steht ein junger Wachtmeister mit furchtbar adrettem Haarschnitt. Er kommt eilig entgegen.
»Hallo, hallo. Kein Zutritt hier, oder gehörn Sie zum Haus, ansonsten raus!«
»Kirchenberg, Mordkommission, ich glaub, ich werde erwartet.«
Ulla straft ihn mit einem scharfen Blick.
Schöne Wohnung, kein Teppichboden. Fliesen sehen doch besser aus. Neben dem Spiegel hängt »Mädchen mit Taube«. Der Flur ist lang und schmal, alle fünf Türen stehen offen. Atze steht rechts im Badezimmer und spricht ins Memocord, sieht her, unterbricht.
»Da seid ihr ja. Der Typ ist durch die Terrassentür gekommen und auch wieder abgehauen. Draußen ist ein großer Garten mit Büschen und einem hohen Zaun. Ich habe schon den Lima-KW angefordert, müsste auch in einer Stunde etwa da sein. Vorher brauchen wir da gar nicht raus, man sieht nichts. Außerdem ist alles klitschenass.«
Aus der Tür hinten links kommt die Ärztin, wechselt die Zigarette in die andere Hand, kurze Begrüßung.
»Herr Kirchenberg, lange nicht gesehen.« Weiche, frauliche Stimme.
»Frau Dr. Schwarz, so früh schon unterwegs?« Blöder Scherz, zu spät. Sie lacht artig und nimmt einen tiefen Zug. Raucht tatsächlich Rote Hand, eindeutig.
»Den Todeszeitpunkt haben wir ja relativ genau. An der Leiche habe ich nicht viel gemacht.« Sie geht wieder ins Zimmer. »Die linke Hand habe ich losgebunden, damit ich sie auf den Rücken drehen konnte. Sie hat vorne zwei Einstiche und hinten sechs, ist’n bisschen kurios. Außerdem hat sie vaginale Verletzungen. In den Blutschmieren an den Oberschenkeln und auf dem Gesäß könnte Sperma sein, sieht jedenfalls so aus.«
»Bleibt bitte vor dem Bett stehen und nichts berühren, wenn’s geht.« Beckmann vom ED pinselt an der Terrassentür. Sieht ziemlich wichtig aus in seinem weißen Overall.
Müller stellt Nummerntafeln auf und fotografiert, auch im weißen Overall. Er sieht nicht rüber, macht auf konzentriert. Ein Wichtigtuer ist das. Die Zwölf legt er aufs Bett neben einen Blutfleck, klemmt die Dreizehn in der Analfalte fest, weil sie immer vom Hintern herunterrutscht.
Die Ärztin erklärt weiter, Atze brabbelt im Hintergrund die Wohnungsbeschreibung runter.
Die Frau liegt auf der Seite, das blaue T-Shirt ist vorne blutgetränkt. Auf dem Bett ist gar nicht so viel Blut. Ziemlich sportliche Figur, scheint auch hübsch zu sein, aber die blonde Mähne hängt überm Gesicht, die Haarspitzen blutverklebt. Der Slip fehlt, die Schamhaare sind stark anrasiert und blutverklebt, furchtbar.
Woher kommt bloß das viele Blut an den Beinen und auf dem Hintern? »Wieso ist hier im Oberschenkelbereich so viel Blut?«
»So genau habe ich nicht nachgesehen, aber oberflächlich sieht es nach Schnitten aus«, sie hebt das linke Bein etwas an, »… ja richtig, hier ist ein Schnitt.« Die Dreizehn fällt runter, Müller stöhnt vernehmlich und steckt sie wieder fest. Er fummelt am Blitzgerät rum und meckert:
»Weiße Haare und weißes Laken – kriegste überhaupt keinen Kontrast rein«, umkreist das Bett, sucht die beste Position, knipst. Die Ärztin soll die Leiche noch mal in die ursprüngliche Position bringen, bevor die Leichenstarre beginnt.
Beckmann kommt rüber. »Das Einzige, was mir bis jetzt auffällt, ist der Slipper da drüben.«
Ein schwarzer Schuh liegt halb unter der Heizung.
»Wenn mich nicht alles täuscht, ist das ’n Herrenschuh, sonst fliegen hier aber nur zwei Paar
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