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Leichenschänder

Titel: Leichenschänder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Benvenuti
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Willst du als Hauptspeise eines chinesischen Menüs enden?“
    Ich wischte mir Gallenschleim aus dem Mundwinkel, betastete vorsichtig mein schmerzendes Knie und sagte: „Machen wir, dass wir wegkommen.“
    Wir beschlossen nach kurzer Diskussion, uns noch ins
Nachtasyl
zu wagen. Mein lädiertes Knie fühlte sich taub an, sodass sich die Schmerzen beim Gehen in Grenzen hielten. Ich humpelte hinter Stefan die steilen Stufen hinunter, rätselte kurz, welche der beiden Türen heute als Eingang diente, erwischte auf Anhieb die richtige, blinzelte gegen die dichten Rauchschwaden an und hielt Ausschau nach einem freien Tisch.
    Stefan war inzwischen zur Bar gegangen und kam mit zwei Flaschen Budweiser zurück. Er war offensichtlich schon mal hier gewesen, da er nicht den Fehler begangen hatte, das offene Bier zu bestellen, das absolut ungenießbar war.
    Das
Nachtasyl
war
tief
, wie man in Wien so schön sagte. Das Publikum bestand aus Punks, Pennern, Neo- und Museumshippies und ein paar aufgemotzten Tussis und gelierten Eierköpfen, die ein bisschen Dschungelluft schnuppern wollten. Die Bierpreise waren moderat, die Holztische und Bänke derart verschandelt, dass man mit seinen Zigaretten nicht aufpassen musste, und die Musik war Balsam für hitparadenmüllgeschädigte Ohren.
    Ich nahm einen Schluck Bier, fütterte meinen wachsenden Lungenkrebs mit einer weiteren Zigarette und bot Stefan ebenfalls eine an.
    Er schüttelte den Kopf und sagte: „Nein, danke. Weißt du, eigentlich rauche ich nicht. Ab und zu überkommt es mich, und dann paffe ich ein paar und habe dann die nächsten Wochen etwas, das ich bereuen kann.“
    „Klingt nach einem ausgeklügelten System.“
    Er seufzte. „Du sagst es.“
    „Wieso wolltest du vorhin die Ladys nicht anbaggern? Bist du einer von der schüchternen Sorte?“
    Stefan verzog den Mund zu einem breiten Grinsen und sagte: „Das würde ich nicht behaupten.“
    „Was ist denn daran so witzig?“
    Er schaute mir ins Gesicht und sagte: „Ich bin schwul. Homosexuell. Anders rum. Verkehrt.“
    Ich winkte ab. „Hab schon verstanden.“
    „Und, schockiert?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Von mir aus kann jeder bumsen, mit wem oder was er will, ausgenommen kleine Kinder und minderjährige Hunde.“
    Stefan lachte und fuhr sich mit der Hand über die Haare.
    „Wie läuft denn das Liebesleben?“, fragte ich.
    Stefan machte eine resignierende Handbewegung und sagte: „Ich hab da so eine Geschichte am Laufen mit einem ziemlich einflussreichen und bekannten Typen. Und jetzt will er sich von mir trennen und verlangt all seine Briefe und Geschenke zurück. Am liebsten würde er unsere Beziehung einfach auslöschen, so, als hätte es sie nie gegeben. Das macht mir im Moment ziemlich zu schaffen.“
    Ich murmelte ein paar tröstliche Floskeln.
    Stefan lächelte freudlos und sagte: „Tja, da kann man nichts machen.“
    Da mir ausnahmsweise kein cooler Spruch einfiel, hielt ich die Klappe.
    Ein bärtiger Typ mit wildem Lockenkopf und schlabberigem grauen Pullover blieb an unserem Tisch stehen und wollte uns einen Anarchistenkalender andrehen, auf dessen Titelblatt der Spruch „Gegen alles“ prangte.
    „Wer kauft sich denn Mitte Februar noch einen Kalender?“, fragte Stefan. „Du etwa?“
    Ich schüttelte den Kopf.
    Als der Bärtige kapierte, dass wir seinen Krempel nicht wollten, versuchte er uns eine Zigarette, ein paar Schillinge oder zumindest einen Schluck Bier abzuschnorren. Langsam ging mir dieser Alexis-Sorbas-Verschnitt auf die Eier.
    „Hau ab und quäl jemand anderen“, sagte ich mit einem Hauch Friedhofswind in der Stimme. Das wirkte. Sorbas jun. raffte seine nihilistischen Kalender zusammen, schickte einen Fluch zur Decke und humpelte zum nächsten Tisch.
    Wir blieben noch zwei Stunden sitzen und füllten uns systematisch mit Budweiser ab. Kurz vor vier, als die
Sperrstunde
-Rufe durch das
Nachtasyl
gellten, erhoben wir uns mühsam von unseren Stühlen und wankten Richtung Ausgang.
    „Ich glaub nicht, dass ich es noch bis zu mir schaffe“, sagte ich schweratmend zu Stefan, als wir draußen in der Kälte standen.
    „Kein Problem. Du kannst bei mir pennen. Ich wohn gleich da vorne.“ Er deutete unbestimmt die Stumpergasse entlang.
    Wir stützten uns gegenseitig ab und erreichten Stefans Wohnung, die etwa fünfzig Meter unterhalb des
Nachtasyls
lag, in weniger als einer Viertelstunde. Wir schleppten uns die Treppe hoch, ruinierten beinahe das Schloss in unserem vergeblichen

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