Leichenschänder
Bemühen, die Wohnungstür mittels Stefans Fahrradschlüssel aufzubekommen, und landeten schließlich im Vorzimmer auf einem Stapel Altpapier.
Wir rappelten uns hoch, Stefan schaltete das Licht ein, und alles erstrahlte in hellem Glanz. In meiner Alkoholumnebelung wähnte ich mich in himmlischen Gefilden. Stefans Warnung, er müsse gleich kotzen, holte mich zurück auf die Erde. Er stolperte zu einer Tür mit der Aufschrift „WC“, riss sie auf und übergab sich in die Kloschüssel.
Ich wandte mich ab und suchte das Schlafzimmer, das ich ohne Probleme fand, da die Wohnung ziemlich klein war. Ich schaltete die Nachttischlampe ein, zerrte die Stiefel von meinen Füßen und ließ mich aufs Bett fallen.
Ich war schon fast eingeschlafen, als sich Stefan neben mich legte.
„Ich hoffe, ich muss mir keinen Korken in den Arsch stecken“, sagte ich.
Stille.
„Sollte ein Scherz sein.“
„War extrem witzig“, sagte Stefan, drehte sich um und fing an zu schnarchen.
♦ ♦ ♦
Ich wachte am frühen Nachmittag auf. In meinem Schädel dröhnte und hämmerte und trommelte es hundsgemein. Es klang wie der Schlachtenlärm von Barbaren, die eine Gruppe Bongospieler niedermetzelten.
Ich wälzte mich auf den Rücken und hielt Ausschau nach Stefan, doch neben mir lag nur ein Haufen zerwühlten Bettzeugs. Irgendwo trällerte eine Stimme fröhliche Weisen und der Duft von Kaffee schwebte in der Luft.
Ich quälte mich aus dem Bett und suchte das Bad. Zwanzig Minuten später – geduscht, rasiert und mit geschrubbten Zähnen – fühlte ich mich wieder halbwegs lebendig. Ich setzte mich an den Küchentisch, steckte mir eine Zigarette in den Mund und wollte sie gerade anzünden, als Gott persönlich, oder zumindest jemand, der über eine ähnlich schnelle Hand verfügte, sie mir aus dem Mund riss.
„Das ist ein Nichtraucher-Haushalt“, sagte, nein, nicht Gott persönlich, sondern Stefan.
„Alles klar“, erwiderte ich mit einem Seufzen.
Ich schob mir die Zigarette hinters Ohr und goss mir eine Tasse Kaffee ein. Dann lehnte ich mich zurück, steckte mir den Bleistift, der neben einer auf der Kreuzworträtselseite aufgeschlagenen Zeitung lag, in den Mund und saugte daran herum. Eine ziemlich unbefriedigende Ersatzbefriedigung.
„Hast du irgendwo einen kleinen, roten Bleistift gesehen?“, rief Stefan aus dem Bad.
„Wieso?“, rief ich zurück.
„Damit kratz ich immer den verstopften Duschabfluss frei.“
Ich spuckte den Bleistift aus, rannte zum Wasserhahn, spülte mir den Mund aus, rannte zurück zum Küchentisch und tötete die restlichen Bakterien mit einem großen Schluck glühend heißen Kaffees ab.
Stefan stand im Türrahmen, eine Hand in der Hosentasche, die andere hinter seinem Kopf, grinste und sagte: „Kleiner Scherz. Als Revanche für deinen blöden Spruch heute Nacht.“
„Ich lache“, sagte ich mit unbewegter Miene.
„Du bist doch nicht etwa eingeschnappt, oder?“, fragte Stefan.
Ich betrachtete meine verstümmelte linke Hand und sagte: „Nein, ich bin nicht eingeschnappt. Ich kann dem Konzept
Revanche
sehr viel abgewinnen.“
Wir setzten uns ins Wohnzimmer, tranken Kaffee und redeten über Gott und die Welt. Irgendwann deutete ich auf ein gerahmtes Plakat für eine Schwulendemo in San Francisco.
„Bist du schon mal dabei gewesen?“, fragte ich.
Stefan nickte. „Vor zwei Jahren. Da hatte ich gerade mein Coming-out hinter mir. Das war eine ziemlich harte Zeit für mich. Für die meisten meiner damaligen Freunde war es quasi ein persönlicher Angriff, dass ich mich sexuell nicht für Frauen interessierte, und sie wollten nichts mehr mit mir zu tun haben. Meine Eltern waren auch nicht gerade begeistert. Irgendwann hatte ich die Schnauze voll, plünderte mein Konto und buchte den erstbesten Flug nach Frisco. Das war zufällig ein paar Tage vor der Demo. Da war vielleicht was los!“ Er machte eine Pause und betrachtete einen Moment lang mit verträumtem Blick das Plakat. „Ich bin fast drei Monate dort geblieben. Dann fühlte ich mich stark genug, um wieder hierher zurückzukommen.“
Am frühen Abend, es war schon längst dunkel, schnürte ich meine Stiefel und schlüpfte in meinen Mantel. Als ich in der Tür stand, drückte mir Stefan einen Zettel in die Hand.
Er räusperte sich und sagte: „Falls du mal Lust hast, was trinken zu gehen, kannst du mich ja anrufen.“
„Sehr gern“, sagte ich und schob den Zettel in meine Hosentasche. Diese Nummer würde ich nicht
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