Leidenschaft des Augenblicks
Persönlichkeit spiegelte sich in seinem Äußeren wider: Er wirkte kraftvoll, war hochgewachsen, schlank und dabei überraschend charmant. Seine Hände, die an die eines Fechters erinnerten, paßten hervorragend zu seinen strengen, asketischen Gesichtszügen.
Anfangs hatte sie versucht sich einzureden, daß dieser Mann unter seiner kühlen, höflichen Schale keinerlei Feuer verbarg, doch ihr war klar, daß sie sich damit nur selbst etwas vormachte. Das Problem war nur, daß das Feuer in Hatch niemals für eine Frau brennen würde. In dieser Hinsicht war er einem Krieger oder Heiligen ähnlich. Sein Feuer brannte für ein Imperium
- das Wirtschaftsimperium, das er auf den Grundfesten von Benedict Fasteners zu errichten gedachte. Für sein Vorhaben konnte Hatch auf die volle Unterstützung von Vincent Benedict und der gesamten Familie Benedict zählen. Er hatte sämtlichen Benedicts einen unwiderstehlichen Köder ausgelegt: Für ein Stück des kleinen, aber aufstrebenden Familienunternehmens Benedict Fasteners würde er die Firma zu internationaler Bedeutung verhelfen. Benedict Fasteners stellte Schrauben, Bolzen und Muttem her - ein breites Spektrum von Produkten, die Handwerk und Bauwirtschaft brauchten, um viele Dinge zusammenzuhalten. Die Firma hatte das Potential, ein echter Industriegigant zu werden, sich zu einem Unternehmen zu entwickeln, das einen riesigen Marktanteil beherrschte. Mit dem richtigen Mann an der Spitze, einem Mann mit Weitblick und Unternehmungsgeist, lag diese Möglichkeit in greifbarer Nähe.
Und die gesamte Familie war überzeugt davon, daß Sam Hatchard dieser Mann war.
Natürlich hatte genaugenommen nur ein Mann überzeugt werden müssen, und zwar Vincent Benedict, der Gründer der Firma. Und er hatte von Anfang an voll auf Hatch gesetzt. Die Beziehung, die sich zwischen den beiden Männern entwickelt hatte, war ebenso fest, wie sie zu erwarten gewesen war. Jessie hatte das vom ersten Augenblick an gewußt, als sie ihren Vater und Hatch zusammen gesehen hatte. Das verschaffte ihm zwar exzellente Voraussetzungen, Benedict Fasteners ganz groß herauszubringen, dachte Jessie bitter, entsprach jedoch keineswegs ihren Vorstellungen von einem idealen Gatten.
Sarn Hatchard war siebenunddreißig. Und Jessie war zu dem Schluß gekommen, daß es mindestens weitere dreißig Jahre dauern würde, bis er umgänglicher und sanfter wurde - sofern das überhaupt möglich war. Sie jedenfalls würde ihm diese Zeit nicht geben. Eine solche Närrin war sie nun wirklich nicht.
Doch die schreckliche Wahrheit, jene schwere Bürde, die sie dieser Tage zu Boden drückte, war die Gewißheit, daß sie zwar vor Hatch weglief, aber nicht schnell genug war, ihm tatsächlich entkommen zu können. Das wußte sie. Die Motte in ihr war in großer Versuchung, sich auf ein Spiel mit dem Feuer einzulassen. Hatch hatte diese Schwäche bemerkt und nutzte sie nun bewußt und geradezu schamlos aus. Das war keineswegs ein Geheimnis. Die ganze Familie stand dahinter.
In einem der wenigen verbliebenen vernünftigen Winkel ihres Gehirns war Jessie sehr wohl klar, daß sie es sich nicht erlauben durfte, Sam Hatchard ins Netz zu gehen, wollte sie nicht in einer unerträglich frustrierenden und unglücklichen Ehe enden. Sie durfte nicht denselben Fehler machen, den ihre Mutter begangen hatte, als sie Vincent Benedict heiratete. Sie würde sich nicht an einen arbeitssüchtigen Mann binden, in dessen Leben es kaum einen Platz für Frau und Kinder gab.
Am Ende der unfruchtbaren Grübelei über ihre widersprüchlichen Gefühle war Jessie nicht klüger als zuvor und stand vor einem riesigen Chaos. Das Ganze war einfach lächerlich. Sie mußte dieser grotesken Situation ein Ende bereiten.
Sie mußte einfach lernen, nein zu sagen.
Das Telephon klingelte. Jessie zuckte zusammen und streckte automatisch die Hand nach dem Hörer aus, hielt dann aber inne und wartete, bis der Anrufbeantworter sich einschaltete. Sie hörte einen Klick und das Abspielen ihrer eigenen Stimme, die sagte, das Büro sei leider nicht besetzt, man werde jedoch baldmöglichst zurückrufen. Dann meldete sich ihre Freundin Alison Kent zu Wort.
Seit Alison angefangen hatte, als Börsenmaklerin zu arbeiten, klang ihre Stimme immer unheimlich optimistisch. Jessie konn-te sich bildlich vorstellen, wie ihre Freundin im Kostüm mit Minirock am anderen Ende der Leitung saß und ihre Anrufe tätigte.
»Jessie, hier ist Alison von Caine, Carter and Peat. Bitte ruf mich
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